Jörg Tauss, MdB


Szenario 2010 - Verlage, Buchhandlungen und Bibliotheken in der Informationsgesellschaft
Anmerkungen aus der Perspektive der Politik

Beitrag zum Symposium "Wissenschaftspublizistik im digitalen Zeitalter - eine Standortbestimmung" Berlin, 08. und 09. Februar 2001

Jörg Tauss, MdB
Bildungs- und forschungspolitischer Sprecher und Beauftragter für Neue Medien der SPD-Bundestagsfraktion; Vorsitzender des Unterausschusses Neue Medien beim Bundestagsausschuss für Kultur und Medien, Ordentliches Mitglied im Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und im Ausschuss für Kultur und Medien, stv. Mitgleid im Innenausschuss des Deutschen Bundestages. E-Mail: joerg@tauss.de oder joerg.tauss@bundestag.de.

Sehr geehrte Damen und Herren,

sie haben mich als Politiker zu Ihrem Symposium "Wissenschaftspublizistik im digitalen Zeitalter - eine Standortbestimmung" eingeladen, ein Eingangsstatement zum Thema "Szenario 2010 - Verlage, Buchhandlungen und Bibliotheken in der Informationsgesellschaft" zu machen. Zugegeben - angesichts der technologischen Dynamik und angesichts der damit einhergehenden gravierenden Gesellschaftsumbrüche erscheint es mit etwas gewagt, Prognosen oder Szenarien für das Jahr 2010 zu entwerfen.
Dazu mag vielleicht ein Verweis auf die Folgen des Buchdrucks hilfreich sein. Vor ein paar Jahren konnte man im SPIEGEL ein Gespräch nachlesen, das auf der Frankfurter Buchmesse zwischen Johannes Gutenberg, dem Pionier der Buchdruckerkunst, und Bill Gates, dem Begründer von Microsoft, stattgefunden haben soll und welches dankenswerter Weise von John Updike aufgezeichnet wurde. In diesem Gespräch sagt Gates, schon etwas gereizt infolge dieses Disputs über hoffnungslos veraltete Technologien, zu Gutenberg: "Ihre Zeit ist um, alter Freund, Ihre fünf Jahrhunderte, um genauer zu sein, und jetzt werden Ihre schwerfälligen, verstaubenden, ganze Wälder vernichtenden Drucksachen weggepackt. Die Buchmesse unter uns ist in Wahrheit eine Totenfeier, genau wie, in den Worten Ihres großen Philosophen Nietzsche, Kirchen in Wahrheit die Gräber, die Grabdenkmale Gottes sind."

Und Gutenberg antwortet folgendes: "Vielleicht ist das Buch, wie Gott, eine Idee, an der einige Menschen festhalten werden. Die Revolution des Buchdrucks hat einen natürlichen Verlauf genommen. Wie ein Fluß ist das gedruckte Wort zu seinem Leser geflossen, und die billigen Mittel seiner Verbreitung haben es ihm erlaubt zu tröpfeln, wo der Kanal zu eng war. Die elektronische Flut, die Ihr beschreibt, kennt keine Ufer. Sie überschwemmt alles, aber womit und für wen? Ihre Inhalte wirken so klein, gemessen am Genius ihrer Technologie."(1)

Heute - 500 Jahre nach der Erfindung des Buchdrucks kann man im Nachhinein - und die Wissenschaft der Kommunikation beschäftigt sich zunehmend auch mit solchen Fragestellungen - die tatsächlichen revolutionären Folgen der Erfindung des Buchdrucks im Jahre 1455 als erstes Massenmedium beschreiben, die damals vermutlich so niemand erahnt oder auch befürchtet hat. Die Loslösung aus der geistigen Vorherrschaft und dem Weltentwurf-Interpretationsmonopol der Theologie, die Ausbildung der Wissenschaften, das Entstehen von Zeitungen und dem Prinzip Öffentlichkeit, die Entwicklung demokratischer Prinzipien, die Entwicklung einer einheitlichen Hochsprache, die Schulpflicht, die Liste ließe sich beliebig verlängern - all das sind die unvorhergesehenen Folgen des Buchdrucks, all das wäre ohne die Möglichkeit des gedruckten Wortes undenkbar gewesen.

Wenn es denn stimmt, dass die gegenwärtig zu beobachtenden Gesellschaftsumbrüche zur Informations- und Wissensgesellschaft mit denen bei der Erfindung des Buchdrucks vergleichbar sind - und davon ist ja oft genug die Rede - so lassen sich diese vermutlich auch erst im Nachhinein beschreiben.

In dem kurzen Auszug aus diesem Gespräch, das im übrigen nicht der fünf Jahrhunderte Unterschied der Gesprächspartner bedarf um so oder zumindest in ähnlicher Form überall stattfinden zu können, werden jedoch zentrale Punkte der gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskussion um die Zukunft der Informations- und Wissensgesellschaft und deren Risiken angesprochen.

Damit ist schließlich auch der Rahmen dieses Referates abgesteckt.

Zugang zu und Umgang mit Informationen:

Die Sicherstellung des Zugangs zu wichtigen Informationen dürfte eine der zentralsten und angesichts ihrer fundamentalen Bedeutung zugleich eine der vornehmsten Aufgaben der Politik in den nächsten Jahren sein. Lange ist es her - es war im Jahre 1790 - dass der Bremer Rat offiziell die Lesewut der Bremer Bürgerschaft prüfte, weil Kritiker die Lesesucht der Bürger als Quelle kultureller Verflachung, Verdummung und Verrohung anprangerten. Der Bremer Rat konnte im übrigen keinen nachteiligen Eindruck auf Charakter und Denkungsart entdecken(2). Ganz im Gegenteil: Die Folgen des Buchdrucks für die Entwicklung offener und moderner Gesellschaften wurden ja Eingangs benannt. Wenn die gegenwärtigen Umbrüche nun vergleichbar sein werden, gilt es den Zugang aller zu allen wichtigen Informationen sicherzustellen.

Unterscheiden lassen sich drei Problemfelder bei den Fragen des Zugangs:

I. Zugangsprobleme bei Übertragungswegen:

II. Zugangsprobleme bei der Produktion von Kommunikationsinhalten:

III. Zugangsprobleme für den Nutzer/Rezipienten und Probleme beim Umgang:

Wissenschaftliche Information und Kommunikation

Kaum ein Bereich gesellschaftlicher Kommunikation ist - zwangsläufig - so sehr vom gegenwärtigen Wandel zur Informations- und Wissensgesellschaft betroffen, wie die wissenschaftliche Information und Kommunikation. Da dieses Symposium nun explizit der "Wissenschaftspublizistik" gewidmet ist, möchte ich diesem Bereich ein paar ausführlichere Ausführungen widmen, zumal ich - wie Sie sicherlich wissen - mit einem auf meine Initiative zustande gekommenen Arbeitskreis "Fachinformation und Fachkommunikatuion" hierzu auch einige grundlegende Eckpunkte vorgelegt habe, die Sie auf meiner Homepage unter www.tauss.de auch abrufen können.

Die technologische Innovationen bringen Veränderungen der kommunikativen Grundlagen in ihrer Gesamtheit mit sich, insbesondere hinsichtlich des Aktualitäts- wie Interaktivitätsgrades, der traditionellen Informations- und Publikationsketten sowie der Nutzer- und Nutzungsstrukturen. Neben den Herausforderungen durch neue Technologien kommen noch weitere gesellschaftliche Umbrüche hinzu, wie sie mit den Schlagworten Europäisierung und Globalisierung nur unzureichend zu fassen sind. Für die wissenschaftliche Fachinformation und -kommunikation erwachsen hieraus weitreichende Konsequenzen, die durch überkommene strukturelle Schwächen verstärkt werden:

All diese Faktoren bestätigen die Einschätzung, daß die bestehende Fachinformations- und Fachkommunikationslandschaft in ihrer derzeitigen Verfassung nicht in der Lage sein wird, auf diese fundamentalen Herausforderungen angemessene Antworten zu finden - und dies auch nicht sein kann. Vielmehr verdeutlichen sie die Notwendigkeit, daß der Staat seine Verpflichtung hinsichtlich der Gewährleistungspflicht ernst nehmen muß. Es ist und bleibt eine originär politische Aufgabe, gestaltend die Rahmenbedingungen auch für die wissenschaftliche Informationspolitik zu entwickeln und vorzugeben.

In einer Situation des grundlegenden Umbruchs ist die Wahl der eingesetzten Mittel sorgfältig abzuwägen. So stellt sich beispielsweise die Frage, ob und inwieweit die sich entfaltenden Marktkräfte allein der staatlichen Gewährleistungsverpflichtung bereits genügen können, oder ob die Bedeutung des Fachinformationsangebotes als eine primär öffentliche Aufgabe angesehen werden sollte bzw. das Marktversagen in bestimmten Bereichen staatliches Handeln geradezu erzwingt.

Schluß:

Lassen Sie mich am Schluß noch einmal auf das eingangs erwähnte Gespräch auf der Frankfurter Buchmesse zurückkommen: Gutenberg beendet das Gespräch, bevor Gates - wie der Berichterstatter Updike beobachtet - mit einem Zischen in sich zusammensinkt, mit der Feststellung: "Ihr sprecht von diesem weltumspannenden Internet, als reichte es über das menschliche Gehirn hinaus. Aber der Mensch ist noch immer das Maß aller Dinge." Damit das so bleibt, gilt es, die Herausforderung der Technik anzunehmen, gesellschaftliche Visionen und Leitbilder zu formulieren und Gestaltungskonzepte zu entwickeln, um so der Reise eine Richtung geben zu können. Daher möchte ich meine Ausführungen schließen mit einem Gruß, den man im Internet immer häufiger antrifft - der zwar die vielen berechtigten Ängste und Unsicherheiten nicht aufhebt, aber für das hier angesprochene Thema Anlaß zur Hoffnung gibt: "Man liest sich!". Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!


1:
John Updike: Das Maß aller Dinge. Bill Gates im Gespräch mit Johannes Guten-berg. In: Spiegel special. Die Multimedia-Zukunft. 3/1996: 156-159. Übersicht

2:
Vgl. Schmidt, Siegfried J.: Der Umgang mit "Informationen", oder: Das Nadelöhr Kognition. In: Tauss, Jörg/Kollbeck, Johannes/Mönikes, Jan: Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft. Herausforderungen und Perspektiven für Wirtschaft, Wissenschaft, Recht und Politik. Baden-Baden. 1996: 183. Übersicht


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