Jörg Tauss, MdB


Tauss warnt vor "Forschungs- und Technologiefeindlichkeit"

Gegenüber der SPD Karlsruhe - Land hat der bildungs- und forschungspolitische Sprecher der SPD - Bundestagsfraktion bei einer Veranstaltung seiner Partei vor "forschungs- und technikfeindlichen Tendenzen" im Rahmen der Debatte um die Biotechnik gewarnt.

Für Tauss ist es gut "und wichtig, dass die grundsätzliche Debatte zur Zukunft der Gen- und Biotechnologie geführt wird". Denn die Bio- und Gentechnologie sei eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts und berühre eine Vielzahl unserer Lebensbereiche. Wie bei jeder Technologie ginge dies mit Chancen und Gefahren einher. Während auf der einen Seite enorme Erwartungen hinsichtlich der Chancen mit Blick auf Heilung von Krankheiten geweckt würden müssten auf der anderen Seite verständliche Ängste azeptiert werden. Da wie bei jeder anderen Technologie auch die Bio- und Gentechnologie nicht alle Probleme lösen könne, müssten verschiedene Fragestellungen nicht nur mit technologischen sondern mit gesellschaftlichen Antworten versehen werden.

Doch bei allen berechtigten kritschen Fragen ist für Tauss auch aus ethischen Erwägungen heraus eine Forschung mit wenigen embryionalen Stammzellen und die sogenannte PID zur frühzeitigen Erkennung von schweren Erkrankungen bereits am Embryo unter strengen Auflagen und klarer Grenzziehung verantwortbar.

Dabei sind für den SPD- Forschungspolitiker folgende Punkte besonders entscheidend: Es könne und dürfe nicht um die "Züchtung" von Menschen und damit um Eingriffe in die menschliche Keimbahn gehen. Nicht akzeptabel sei die Erzeugung von Embryonen für Forschungszwecke und schließlich müssten andere Wege - ethisch unstrittigere Wege -immer Priorität haben. Bei der Diskussion dieser Wege bestehe aber an eindimensionalen, polarisierenden und moralisierenden Bewertungen von Forschungsabsichten kein Bedarf.

Der weitere Redetext von Jörg Tauss wird für den Fall weiterer Nachfragen und evtl. Ergänzungen des Artikels durch interessierte Redaktionen nachfolgend im Wortlaut auszugsweise und in wörtlicher Rede dokumentiert:

"Blickt man über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte zurück auf die von Wissenschaft und Forschung hervorgebrachten Ergebnisse, muss man wohl zu der Erkenntnis kommen, dass jede nächste Generation inzwischen in einer neuen Welt lebt. Was vor hundert Jahren noch revolutionär war und oft als bedrohlich wahrgenommen wurde, ist heute Allgemeingut und nicht mehr wegzudenken. War es die - oder zumindest auch die Wissenschaft - die die Welt des Mittelalters in die Welt der Neuzeit führte, so hat seitdem eine wissenschaftliche und/oder technologische Revolution die andere abgelöst. Vor etwas mehr als hundertfünfzig Jahren war die ungeheure Geschwindigkeit der Eisenbahn revolutionär, vor vierzig Jahren war der Sputnik revolutionär, Anfang der 60er war die erste Herztransplantation revolutionär - und so wird es weitergehen. Wir haben aber auch lernen müssen, dass die wissenschaftliche Entwicklung nicht nur eine Richtung kennt: Sie kann - um bei der medizinischen Wissenschaft und Forschung zu bleiben - zur Heilung und Linderung dienen, sie kann aber ebenso einen Beitrag zu Zerstörung und Tod leisten. Wissenschaft selbst ist zweckoffen."

Wer glaubt, dass es eine einzige Rationalität gibt, der irrt. Wir nennen unsere moderne Gesellschaft nicht allein deshalb komplex, weil sie zunehmend kompliziert ist und uns überfordert, sondern vor allem sie keinen Ort mehr kennt, von dem aus allgemeingültige und universelle Wahrheiten begründet werden könnten. Sie ist vielmehr deshalb komplex, weil weder ökonomische Nutzenkalküle, noch wissenschaftliche Rationalität aber eben auch nicht mehr allein die Religion für die Gesellschaft als Ganzes sprechen können. Vieles von dem, was irgendwann einmal undenkbar oder unsittlich oder auch unmoralisch erschien, wird heute ganz anders bewertet. Das gilt beispielsweise für den gesellschaftlich tolerierten Abbruch von Schwangerschaften, für das Öffnen von Leichen zum Zwecke der Wissenschaft oder das Austragen einer Schwangerschaft einer unfallverletzten Frau, bei der der Hirntod festgestellt wurde. All diese Beispiele zeigen, dass es niemanden geben kann, der allgemeingültige Antworten im Sinne eines Ausweg aus diesen unbestritten ethischen Dilemmata aufzeigen könnte. Heute stehen wir wiederum vor einer ethisch bedeutsamen Frage. Die Frage ist, wie wir mit den neuen Möglichkeiten der Gen- und Biotechnologie umgehen und welche Grenzen wir gegebenenfalls ziehen sollten.

Anders als die Debatte in den vergangenen Wochen zum Teil den Anschein erweckte, kann es auch auf diese Fragen keine kategorischen Antworten geben. Die Debatte um den Paragraph 218, die auf ein vergleichbares ethisches Problem um Antworten rang, zeigt eben auch, dass die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit - und eben nicht der Einzelne, die Wissenschaft, die Kirche oder auch nicht die Politik allein - auch derartig tiefgreifende ethische Fragestellungen bewältigen kann.

Ich bin der festen Überzeugung, dass uns diese Abwägung und die Suche nach einem - ich betone: gesellschaftlichen - Konsens auch bei den Fragen der Biomedizin gelingt. Zwei Fragestellungen beherrschten die Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen der Bio- und Gentechnologie in den vergangenen Wochen: die sogenannte Präimplantationsdiagnostik (PID) und die Frage des Umgangs mit embryonalen Stammzellen. Beide Fragen sind völlig unstreitig mehr als forschungspolitische Fragestellungen und deshalb haben sie auch diese - bei Forschungsthemen sonst eher ungewöhnliche - heftige gesellschaftliche Debatte ausgelöst. Ob beide Themen - wiederum aus forschungspolitischer Sicht - jedoch manches öffentlich geäußerte Argument rechtfertigen, sei dahingestellt. Man kann nicht die ganze Wissenschaft und Forschung einem Generalverdacht aussetzen, gleichsam so als ob es einen entfesselten Dämon zu bändigen gilt.

So ist es eben sehr problematisch, dass sich die Geisteswissenschaften, die immerhin fast 20% der Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erhalten, mit nur wenigen Beiträgen an dieser wichtigen Debatte beteiligen. Aus diesem Grunde begrüße ich ausdrücklich die Forderung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, dass gerade die Philosophie und natürlich auch die Theologie diese neuen Fragestellungen der naturwissenschaftlichen Forschung und Technik aufgreifen müsse.

Stellt sich bei jeglicher Nutzung der PID sofort die Frage der Menschenwürde, oder müssten zuvor nicht andere Phänomene ebenso heftig diskutiert werden? Das Thema Menschenwürde würde ich dann eher an der Frage diskutiert wissen wollen, warum in dieser Gesellschaft offensichtlich über die Menschenwürde von einem Dutzend Zellen eine heftigere Diskussion geführt wird, als über die Menschenwürde von Straßenkindern, die wir auch im eigenen Land haben. Zellen, die für sich nicht lebensfähig sind, sind für mich weit von der Menschenwürde entfernt. Befruchtete Zellen sind selbstverständlich ein hohes Gut. Sonst hätten wir auch kein Embryonenschutzgesetz gebraucht. Aber sie sind - bei allem Respekt - noch nicht "Mensch" mit eigener Menschenwürde, wobei natürlich die Frage zu stellen ist, wo wir Grenzen ziehen.

Spätestens ab der 25. Woche ist ein Fötus außerhalb des Mutterleibs bei entsprechender Hilfe lebensfähig. Solche Grenzziehungen sind uns als Gesetzgeber aber durchaus, beispielsweise bei der Diskussion des § 218 gelungen, wo es ja übrigens nicht um Zellen außerhalb sondern innerhalb des Mutterleibs ging. Jutta Limbach hat hierzu ebenfalls Wichtiges klargestellt. Die Urteile des BVerfG betrafen den Schutz des Embryos im Mutterleib und die Straffreiheit bei einem Schwangerschaftsabbruch. Dies haben wir mit einem großen gesellschaftlichen Konsens bewältigen können. Zellen außerhalb des Mutterleibs sind aber doch noch nicht in jedem Falle Mensch, sondern allenfalls auf dem Weg zum Menschen. Und es kann doch nicht angehen, dass wir den Schutz und damit auch die Schutzbedürftigkeit weniger Zellen in einem Reagenzglas höher bewerten, als den Schutz von Embryonen im Mutterleib.

Einige sprechen in diesem Zusammenhang von einem Dammbruch, wobei nicht immer ganz klar erkennbar ist, welcher Damm eigentlich in Gefahr ist, zu brechen? Ist es denn wirklich ein Dammbruch, wenn sich Eltern ein körperlich unversehrtes Kind wünschen? Muss dies wirklich mit dem Wort "Selektion" als belasteter Kampfbegriff verbunden werden? Wird hier mit dem historisch belasteten Wort Selektion und dem Schrecken der Selektion nicht verantwortungslos umgegangen? Ich kenne niemanden, keine Frau, kein Paar, die sich ein behindertes Kind wünschten oder gewünscht hätten. Ich kenne demgegenüber viele, die ein behindertes Kind mit viel Liebe und Zuwendung bedenken und dieses Kind auch als Bereicherung erleben. Und ich kenne schwerst behinderte Kinder, die deshalb ihren Eltern und ihrer Umgebung viel geben und viel Freunde bereiten.

Lee Silver, Molekularbiologe aus Princeton, fragte polemisch und spitz, ob Eltern, die ihre Kinder auf teure Privatschulen schicken, denn davor halt machen würden. Sicher kann man sich auch solche Zeitgenossen vorstellen. Diese Perspektivierung der Debatte ignoriert aber, dass der Mensch eben mehr ist als eine lockere beliebig manipulierbare Ansammlung seiner Zellen und Gene. Mit früher Förderung und elterlicher Zuwendung lässt sich wohl auch in Zukunft mehr Intelligenz beim lebenden Kind herbeiführen als im Reagenzglas. Es geht also nicht darum, eine "Wunschkindmentalität" möglich zu machen. Die zweite Frage lautet nun, ob wir es zulassen sollen, dass auch embryonale Stammzellen für medizinische Forschungszwecke genutzt werden dürfen - oder eben nicht.. Die damit verbundenen Hoffnungen auf mögliche Heilung der verschiedensten Krankheiten haben in anderen Ländern bereits dazu geführt, dass die Ausgangsfrage mit Ja beantwortet wird, so in Großbritannien und zahllosen anderen Staaten.

Ich schlage vor, diese Frage für Deutschland zumindest stellen zu dürfen. Die Freiheit der Wissenschaft und das Recht auf Nichtrechtfertigung schließt natürlich die Pflicht zu Rechtfertigung mit ein. Deshalb war es ein Fehler der Forschung, sich innerhalb weniger Wochen mit unterschiedlichen Positionen an die Öffentlichkeit zu wenden. Es wurde versäumt deutlich zu machen, dass der Weg der Forschung mit adulten Stammzellen möglicherweise auch nur dann wissenschaftlichen Erfolg verspricht, wenn er mit der Möglichkeit der Arbeit mit embryonalen Stammzellen kombiniert wird. Aus diesem Versäumnis ergaben sich viele der jetzt vorhandenen Irritationen. So sehen wir uns eben auf der einen Seite einem immensen Nichtwissen gegenüber, wobei es zeitgleich eine Vielzahl von "explosiven Wissen" gibt. Es ist für mich ebenso undenkbar, dass die Biotechnikunternehmen allein aus ökonomischer Perspektive, Wissenschaftler allein aus wissenschaftlicher Neugier oder eine kirchliche Einrichtung allein aufgrund ihrer religiösen Überzeugung entscheiden, wo die Grenzen biotechnischer Forschung liegen, weil beispielsweise - ich zitiere das Zentralkomitee der Katholiken wörtlich - "die Forschung das Gesamt der Forschung nicht überbrücken könne". Im Umkehrschluss heißt das aber eben auch, dass auch nicht die Religion das Gesamt der Gesellschaft nicht überbrücken kann. Ich will auch keinen Schutz weniger Zellen im Reagenzglas, der stärker wäre, als der Schutz von Embryonen im Mutterleib.

Aus diesem Grund möchte ich in aller kürze ein paar für mich zentrale Eckpfeiler der zu führenden Debatte benennen. Ich halte es durchaus für richtig und wichtige, klare Regeln aufzustellen und Grenzen zu ziehen und dabei für den wissenschaftlichen und medizinischen Fortschritt offen zu bleiben. Offen zu bleiben heißt eben auch, sich andere Optionen offen zu halten. Ich bin für solche Grenzen. Ihre Einhaltung und Überwachung könnte beispielsweise darin liegen, die Forschung an embryonalen Stammzellen und die Anwendung der PID nach strengen Regeln und auf wenige Institute zu begrenzen. Dies wird wohl ohnehin der Fall sein müssen. Ich fasse zusammen: Die Debatte zeigt, dass ein überstürzter gesetzlicher Handlungsbedarf nicht besteht. Noch weniger Bedarf besteht aber an eindimensionalen, polarisierenden und moralisierenden Bewertungen von Forschungsabsichten.

Notwendig wäre eine ethische Debatte, die sich wirklich um die Würde des Menschen, seine Chancen und seinen Stellenwert rankt und die Grenzen wissenschaftlicher Betätigung in jeder Hinsicht verantwortungsbewusst aufzeigt. Diese wichtige gesellschaftspolitische Debatte aber auf ausschließlich auf PID, Stammzellenforschung und entsprechenden Verbote zu reduzieren - wie dies in den vergangenen Wochen nicht selten der Fall war -, hieße, biomedizinische Wissenschaft und Forschung und deren gesellschaftliche Tragweite nicht gerecht zu werden. Sicherlich sind dies wichtige und derzeit die brisantesten Fragestellungen, aber die gesellschaftliche Dimension verlangt eben auch, den Horizont dieser Debatte nicht vorschnell zu verengen. Ich möchte Sie daher bitten - zumal wir keinen akuten gesetzlichen Handlungsbedarf haben - diese Debatte nicht vorschnell zu beenden, und am fatalsten wäre es wohl, diese Debatte partei-politisch zu ideologisieren oder weiter zu polarisieren. Lassen Sie uns zunächst über das Für und Wider diskutieren, lassen Sie uns solange den Ausgang der Debatte offen halten. Da es keinen archimedischen Punkt mehr gibt, von dem aus mit dem Anspruch der absoluten Wahrheit und allgemeinverbindlich das Richtige und das Falsche in dieser Welt eingeordnet werden kann, sind wir auf den offenen Diskurs und auf die Überzeugungskraft des besseren Arguments angewiesen.


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