Jörg Tauss, MdB


Bonn, den 09. Juli 1998/jk

Anhörung zur Telekommunikationsüberwachungs-Verordnung (TKÜV) abgesagt - Einsicht in deren Unangemessenheit oder Spielen auf Zeit?

Lückenlose Überwachung ausgebremst

Bundesregierung vollzieht angesichts der harschen Kritik an ihrem Verordnungsentwurf zur Telekommunikationsüberwachung eine Vollbremsung - Ablenkmanöver oder Einlenken auf die von der Verfassung vorgegebenen Bahnen?

Zur Absetzung der am Mittwoch, den 15. Juli 1998, geplanten Anhörung zum Entwurf der Bundesregierung für eine "Telekommunikationsüberwachungs-Verordnung" (TKÜV) erklärt der für Informations- und Kommunikationstechnologie zuständige SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss, MdB:

Die geplante flächendeckende Überwachung jeglicher Telekommunikationsmöglichkeiten, bei der dem Bundesinnenminister Manfred Kanther jegliches Maß verloren gegangen zu sein scheint, ist ins Stocken geraten: Die Bundesregierung hat die für den nächsten Mittwoch anberaumte Anhörung zu ihrem Entwurf einer Telekommunikationsüberwachungs-Verordnung (TKÜV) kurzfristig abgesagt. Offizielle Begründung: Die bisher eingegangenen Stellungnahmen der Verbände zeigten den noch bestehenden "Änderungsbedarf" des Entwurfs; diese Aussage kann nicht ernsthaft bestritten werden.

Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Die Bundesregierung sah sich in den vergangenen Tagen vielmehr einer ungewöhnlichen Allianz von Kritikern gegenüber, die sich - auch alarmiert durch die Berichterstattung der Medien - aus der Opposition des Deutschen Bundestages, Vertretern aus Wirtschaft, Medien und Wissenschaft und Bürgerrechtlern formierte. Kaum ein Verordnungsentwurf der Bundesregierung hat bereits im Vorfeld für soviel Furore gesorgt, wie der Entwurf einer Telekommunikationsüberwachungs-Verordnung (TKÜV). Zwar ist formal nicht der Bundesinnenminister Kanther sondern vielmehr Bundeswirtschaftsminister Rexrodt für den Bereich der Telekommunikation zuständig. Dieser erfuhr jedoch von den Folgen dieser Verordnung seines Hauses, welche eindeutig die Handschrift des "Gangsterjägers" Kanther trägt, erst aus der Presse. Kanther jedoch läßt den unwissenden Wirtschaftsminister nun im Hagel der Kritik stehen und läßt verbreiten, er habe mit diesem Verordnungsentwurf nichts zu tun. Dieser Vorgang legt zumindest den Verdacht nahe, daß der Bundeswirtschaftsminister mit seiner neuen Mammutbehörde nicht zurecht kommt.

Mit dem Entwurf einer Telekommunikationsüberwachungs-Verordnung setzt die Bundesregierung ihre seit einige Jahren laufenden Bemühungen fort, möglichst jede Form der mittels Telekommunikation geführten Kommunikation lückenlos und unverschlüsselt überwachen zu können. Dabei sah die Verordnung auch vor, daß die dafür notwendige Überwachungstechnik auch in firmeninterne Computernetze und Telephonanlagen von Krankenhäusern und Hotels eingebaut werden müssen - zu deren Kosten, versteht sich. Auf die Unternehmen mit größeren Telekommunikationseinrichtungen wären, wenn diese Verordnung Wirklichkeit geworden wäre, Zusatzinvestitionen zwischen 30 und 40 Milliarden Mark gekommen; jedes einzelne Unternehmen hätte für den verfassungsrechtlich höchst bedenklichen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis also auch noch Kosten zwischen 150.000 und 250.000 Mark aufbringen müssen. Hinzu kommt, daß eine Überwachungsschnittstelle in Firmennetzen einer Einladung zur Wirtschaftsspionage gleichkommt - und das alles aus dem Hause des deutschen Wirtschaftsministers!

Daß sich die Verbände, wenngleich spät, gegen derart weitreichende Überwachungsvorhaben zu ihren Kosten zur Wehr setzen, ist zu begrüßen, vor allem deshalb, weil die Grundrechte leider in der Regel eine solch starke Lobby nicht haben. Vor allem die - berechtigten - Ängste vor den so entstehenden Kosten und vor verstärkt möglicher Wirtschaftsspionage ließen die Wirtschaftsverbände heftiger reagieren, womit die Bundesregierung - noch dazu im Dauertief im Wahlkampf - nicht gerechnet hat.

Dabei stellt der Entwurf einer Telekommunikationsüberwachung nur einen Baustein der angestrebten lückenlosen Überwachung und des unverhältnismäßigen Eingreifens in eine verfassungsrechtlich garantierte sichere und selbstbestimmte Kommunikation dar. Hinzu kommt das Problem, daß solche weitreichenden Eingriffe in Privatsphäre und Geschäftsgeheimnisse per Verordnung der Bundesregierung beschlossen werden sollen und damit eine Zustimmung des Parlamentes nicht notwendig ist. Derartig weitgehende Überwachungsauflagen dürfen jedoch nicht allein dem Belieben einzelner Beamter, dem abenteuerlichen Überwachungswahn eines Innenministers oder dem Unwissen des zuständigen Fachministers unterliegen. Aus diesem Grund ist das "Auf-Eis-Legen" nur ein erster, wenngleich ein wichtiger Erfolg!

Abzuwarten bleibt jedoch, ob die Bundesregierung tatsächlich bereit ist, die überaus berechtigte Kritik zur Kenntnis zu nehmen und Nachbesserungen zu erarbeiten. Nun hat sich aber diese Bundesregierung weder mit der Bewahrung von Grundrechten noch mit der Schaffung von Rechtssicherheit und Entfaltungsmöglichkeit für Unternehmen - gerade im Bereich der neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten, wobei der Fall CompuServe beredt Zeugnis gibt - hervorgetan, so daß die wahrscheinlichere Perspektive eine schlichte Vertagung bis nach der Bundestagswahl sein wird. Und dennoch ist damit schon etwas gewonnen: Denn, daß ein neues Konzept für angemessenen und verfassungskonforme Eingriffsbefugnisse der Sicherheitsbehörden - nicht in Form einer Verordnung sondern mittels einer Gesetzesnovelle - nach der Bundestagswahl im Herbst 98 die Handschrift des populistischen "Gangsterjägers" Kanther oder des kaum noch wahrnehmbaren Wirtschaftsministers Rexrodt trägt, darf wohl mit einigem Recht bezweifelt und mit demselben Recht erhofft werden.


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