Jörg Tauss, MdB


Eröffnungsstatement:

Digitale Demokratie und Electronic Gouvernment - ein Demokratietypus der Zukunft?

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für die Einladung zu diesem Kongreß "Electronic Gouvernment" der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. Sie haben mich, als Parlamentarier, gebeten, mit einigen Bemerkungen in dieses wichtige Thema einzuleiten. Diese Einladung habe ich besonders gern angenommen, da ich mich mit dem Thema "Neue Medien und deren gesellschaftliche Implikationen" in vielen seiner Facetten nun schon seit einigen Jahren auseinandersetze - genau genommen seitdem ich 1994 in den Deutschen Bundestag gewählt wurde.

Die heutige Veranstaltung ist überschrieben mit dem Titel: Electronic Gouvernment. In der Einladung zu diesem Kongreß heißt es, daß Electronic Gouvernment als Thema in diesem Herbst 2000 auf einem Höhepunkt angekommen ist. Als Begründung wird angeführt, daß auf nahezu alle Ebenen der Verwaltung - von der EU bis hin zum kleinsten Dorf in Baden-Württemberg oder anderswo - die Bedeutung einer elektronischen Verwaltung erkannt ist und deren Umsetzung möglichst rasch erfolgen müsse. Die Gesellschaft für Verwaltungsinformatik fordert, im Einklang mit anderen Technikverbänden, in einem Memorandum ein "Ende der Trockenübungen" und eine rasche Verwirklichung einer elektronischen Demokratie und ihrer elektronischen Verwaltung. Das dem so ist, wäre eigentlich schon eine kleine Sensation. Noch vor zwei Jahren, als beispielsweise die Enquete-Kommission "Zukunft der Medien" des 13. Deutschen Bundestages im Sommer 1998 ihren Schlußbericht vorlegte, der sich auch mit den Auswirkungen der Neuen Medien auf die demokratisch verfaßte Gesellschaft auseinandersetzte, klang das noch deutlich zurückhaltender und für viele vermutlich auch bedrohlicher.

Nachdem der Begriff elektronische Demokratie während der zweijährigen Beratungen der Enquete-Kommission auf die tiefes Mißtrauen stieß und möglichst überhaupt nicht erwähnt werden sollte, tauchte er dann doch im Schlußbericht auf - wenn auch eben weitaus vorsichtiger als in der Einladung zum heutigen Kongreß: Parteiübergreifenden Konsens fand in den Empfehlungen der Kommission zwar die Feststellung, daß die neuen Medien wie das Internet "besonders für Parlamente, Regierungen und Verwaltungen auf allen Ebenen neue Möglichkeiten bieten, Bürger schnell und unmittelbar zu informieren und das eigene Handeln transparenter zu machen". Was die Verwirklichung einer elektronischen Demokratie anbelangt, so konnte sich die Kommission in ihren Empfehlungen lediglich darauf verständigen, zu empfehlen, "die internationale Diskussion und Entwicklung, die unter dem Begriff ‚elektronische Demokratie' abläuft, aufmerksam zu verfolgen".

Der jetzt - zwei Jahre später - stattfindende Kongreß "Electronic Gouvernment" und der hohe Stellenwert, den dieses Thema genießt, macht deutlich, wieviel sich in diesen zwei Jahren verändert hat und schwierig längerfristige Prognosen im Zeitalter des Internet sind:

Was die informationstechnische Durchdringung aller gesellschaftlichen Bereiche und deren Akzeptanz und Nutzungsbereitschaft anbelangt, hat dies sich ebenso entscheidend verändert wie das Bewußtsein und die Bereitschaft in den Verwaltungseinheiten, die immensen Teilhabe-Potentiale dieser neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten zu nutzen.

Electronic Gouvernment ist ein zentrales Element einer elektronischen Demokratie. Gestatten Sie mir bitte daher, diesen Eröffnungsbeitrag in drei Schritten vorzutragen: Lassen Sie mich in einem ersten Schritt einige wenige Anmerkungen zum Stichwort "elektronische Demokratie" machen und aufzeigen, daß dies keineswegs eine neue Debatte ist, die uns ‚gleichsam über Nacht' mit der Ausbreitung des Internet überrascht hat, sondern seit geraumer Zeit Gegenstand demokratietheoretischer überlegungen ist.

Dies vor allem vor der Fragestellung, ob und inwieweit die neuen IuK-Möglichkeiten zu einer Steigerung der Partizipationspotentiale genutzt werden könnten. Wenn man fragen will, welche Partizipationspotentiale die neuen Techniken mit sich bringen und wie diese genutzt werden könnten, so müßten zunächst die bestehenden Probleme und Legitimationsdefizite moderner Demokratien Gegenstand dieses gesellschaftlichen Diskurses werden. Dies kann natürlich mit diesem Beitrag nicht geleistet werden; versucht werden soll aber in einem zweiten Schritt, einige denkbare Optionen, die die neuen Informations- und Kommunikationstechniken zur Modernisierung der Demokratie eröffnen, aufzuzeigen und deren Chancen abzuwägen - es soll also, wenn dies noch notwendig sein sollte, ein klares Plädoyer für die Nutzung der neuen Optionen sein. In einem dritten Schritt sollen - in aller gebotener Kürze, da zahlreiche Vertreter diese Aktivitäten auf diesem Kongreß ja selbst noch vorstellen werden - ein paar zentrale Vorhaben hinsichtlich der Verwirklichung einer elektronischen Demokratie angesprochen werden, wobei ich mich überwiegend auf Aktivitäten auf Bundesebene und hier auf ein e-Demokratie-Projekt des Bundestages beschränken möchte. Abschließend soll - aus der Perspektive des Parlamentes - die Frage gestellt werden, ob eine solche elektronische oder digitale Demokratie diese Potentiale erfüllen und so einen Demokratietypus der Zukunft darstellen kann.

1 Neue Medien und e-Demokratie


Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher und medientechnischer Entwicklung ist vermutlich so alt wie die Medien selbst. Damit steht sich auch die Frage nach der Demokratieverträglichkeit sogenannter neuer Medien nicht erst mit der Ausbreitung des Internet auf der Tagesordnung - es ist noch gar nicht so lange her, da war das Fernsehen ein neues Medium. So forderte beispielsweise der Dichter Bertolt Brecht bereits im Jahre 1932, daß der Rundfunk aus einem "Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln" sei. Liest man diesen vor mehr als 60 Jahren geschriebenen Entwurf eines derartigen Kommunikationsapparates neu, so scheint man sich unmittelbar in der heutigen Auseinandersetzung zu befinden. Der Rundfunk könne - so ist in Brechts Radiotheorie zu lesen - als denkbar "großartigster Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens" angesehen werden, wenn er es verstünde "nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen."

Damit ist eigentlich - auch was die heutige e-Demokratie-Diskussion anbelangt, alles Wesentliche angesprochen: Mit dem Internet scheint nun dieser alter Menschheitstraum endlich in Erfüllung zu gehen:
Das Internet als neues Medium bietet zumindest potentiell die Möglichkeit, alle Gesellschaftsmitglieder in einem übergreifenden Kommunikationsnetz zu vereinigen. Kennzeichen des neuen Mediums ist nicht das "Viele" (wie es das Wort Multimedia Glauben machen will), Kennzeichen ist vielmehr das Integrieren der bisher nebeneinanderstehenden Medien in einem einzigen. Richtiger wäre daher der Begriff "Monomedium".

Das Internet integriert Potentiale der mündlichen Direktkommunikation (Diskussion oder Telefongespräch), der Printmedien (Brief, Flugblatt, schwarzes Brett, Zeitung und Buch), der audiovisuellen Medien (Rundfunk, Fernsehen, Video) und steigert deren Kapazität (durch höhere Archivierungs- und Speicherfähigkeit).

Vor allem aber unterscheidet es sich - als many-to-many-Medium - vom Brechtschen Distributionsapparat Rundfunk. Jeder kann nun als Sender und Empfänger - mit jedem über fast alles zu beinah jeder Zeit elektronisch kommunizieren, jeder kann Informationen anbieten oder abfragen, ... .

Damit markiert das Internet - und die Diskussion um dessen mögliche Folgen für die demokratische Gesellschaft - den vorläufigen Höhepunkt einer medientechnischen Entwicklung, in der die Debatte um das interaktive Kabelfernsehen (wenn es auch so nahezu nirgendwo verwirklicht wurde) oder erste Computernetze auf lokaler Ebene als wichtige Zwischenschritte angesehen werden können.

So verwundert es auch nicht, daß diese medientechnische Entwicklung bereits in den 70er Jahren von einigen Demokratietheoretikern aufgegriffen wurden. Die ersten Vorstellungen einer "Teledemokratie" oder auch "elektronischen Demokratie" stammen aus dieser Zeit und haben - bis zu den heutigen demokratietheoretischen Vorstellungen - eines gemeinsam:
Sie alle versuchen, neue elektronische Medien als Mittel gesteigerter politischer Partizipation und Teilhabe und als Verbesserung der Kommunikation - im Sinne des Dialoges - zu begreifen.

Elektronische Demokratie, digitale Agora oder Telekratie, lebhafte politische Debatte oder "Dafür"- und "Dagegen"-Buttons - die Möglichkeiten der sich mit der Ausbreitung des Internet entfaltenden elektronischen öffentlichkeit und deren Folgen für das politische System werden sehr unterschiedlich eingeschätzt: Gelten die neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten für die einen als "technology of freedom" und stehen für eine "totale De-mokratisierung" der Gesellschaft, den "wohlinformierten Bürger" und die direkte Kommunikation zwischen Politiker und Wähler, sehen die anderen in ihnen eine Gefahr für oder gar das Ende der Demokratie.

Der Technologierat, eines der vielen Beratergremien der alten Bundesregierung, formulierte im Jahr 1995 noch warnend: "Einerseits wird die repräsentative Demokratie in Frage gestellt, wenn jeder Bürger sich im Prinzip unmittelbar an der politischen Willensbildung beteiligen kann. Andererseits kann und darf die quasi direktdemokratische Technik die institutionellen Einrichtungen der Demokratie zur immer komplexer werdenden Entscheidungsfindung und den politischen Diskurs nicht ersetzen." (Rat für Forschung, Technologie und Innovation 1995: 48f.). Manche Autoren vermuten gar, daß sich die Politik bereits heute den Bedingungen der (alten) Medien unterworfen habe (vgl. Kepplinger 1998), andere gehen davon aus, daß die neuen Medien von der "Zuschauer-" zur "Beteiligungsdemokratie" (Leggewie/Maar 1997) führen werden, wieder andere befürchten schließlich die "freiwillige Dauerüberwachung im bitgesteuerten Morgen-Land" (Tügel 1996).

2 Demokratie und Legitimationskrise - ein Plädoyer für die Nutzung neuer Optionen zur Modernisierung der demokratischen Gesellschaft

Die Diskussion um das Entstehen einer "elektronische Demokratie" ist also keineswegs neu, sondern wird im Zusammenhang mit den umstrittenen Konzepten einer Informationsgesellschaft bereits seit 30 Jahren geführt (Tauss/Kollbeck/Mönikes 1996). Ausgangspunkt waren jedoch in der Regel die möglichen Gefahren der neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten für Individuum und Gesellschaft, weniger aber mögliche Chancen.

Daher gilt es, neben den möglichen Gefahren, die die neuen Informations- und Kommunikationstechniken wie jede andere Technik sicherlich in sich bergen, auch die Optionen für die Modernisierung der demokratisch verfaßten Gesellschaft zu erkennen, die dieser gesellschaftliche Wandel mit sich bringt.

Dies ist vor allem deshalb notwendig, weil allein das Beharren auf dem Status Quo nicht nur neue Optionen gar nicht erst in den Blick bekommt, sondern auch die heute bereits offensichtlichen Probleme nicht zu sehen vermag. Aus diesem Grund begrüße ich diesen Kongreß der baden-württembergischen der Landeszentrale für politische Bildung außerordentlich, weil er sich explizit diesen Fragestellungen stellt.

Gerade vor dem Hintergrund der oft diagnostizierten Politik- und Politikerverdrossenheit, dem abnehmenden Vertrauen in die staatlichen Institutionen, der angesichts der Komplexität zunehmenden Undurchschaubarkeit politischer Entscheidungsstrukturen und -prozesse und schließlich angesichts der immer weiter abnehmenden Wahlbeteiligung vor allem bei Landtags- und Kommunalwahlen stellt sich immer drängender die Frage, wie diesen daraus entstehenden Mißtrauen und Legitimationsdefiziten begegnet werden könne - sie bezeichnen Symptome einer gesellschaftliche Entwicklung, worauf auch die zuständige Politikwissenschaft noch nach Antworten sucht.

Damit stellt sich die Frage, ob und inwieweit die neuen Informations- und Kommunikationstechniken einen Beitrag zum Abbau des daraus resultierenden Legitimationsdefizites leisten können. Die eingangs erwähnte Enquete-Kommission "Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft", die gemäß ihrem Einsetzungsbeschluß die Aufgabe hatte, (Deutscher Bundestag 1995) die "künftigen Entwicklungen und Folgen der elektronischen Medien und Informationstechnologien sowie der neuen Möglichkeiten einer Nutzung der Informations- und " in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen darzustellen und " und "Handlungsmöglichkeiten der staatlichen Politik" aufzuzeigen, hat sich auch mit den neuen Formen der Beteiligung der Bürger an der politischen Willensbildung beschäftigt.

Dabei hat sie - wie die öffentliche Debatte insgesamt - den Fokus noch immer in erster Linie auf Fragestellungen wie "Bereitstellung, Verteilung und Aufnahme politischer Informationen" oder "Effizienzsteigerung von Parlamenten, Regierungen und Verwaltungen" gerichtet (Deutscher Bundestag 1998: 179ff.).

Natürlich sind auch dies wichtige Themenstellungen, jedoch wird mit dieser Fokussierung das Spezifische und das eigentlich Neue der sog. Neuen Medien - die Möglichkeit der Interaktivität - von vornherein ausgeblendet und damit auch die möglicherweise entstehenden neuen Möglichkeiten und Formen der politischen Teilhabe.

Die neuen Medien werden auch zu einer weiteren Individualisierung der Mediennutzung führen und damit auf der einen Seite neue Freiheitsgrade eröffnen, auf der anderen Seite jedoch auch zu einer weiteren Zersplitterung der Gesellschaft beitragen.

Entstehen könnten immer weiter differenzierte und segmentierte Teil-öffentlichkeiten, die untereinander kaum noch mitteilungsfähig sind. Damit stellt sich in einer ganz neuen Weise die (nicht nur soziologische) Frage, welches Band die Gesellschaft eigentlich noch zusammenhalten kann.

Die entstehende Vielfalt und Verfügbarkeit an Informationen hat darüber hinaus auch inflationäre Wirkungen: Immer mehr stellt sich die Frage, welche Informationen Wert haben oder glaubwürdig sind, und immer mehr erfordert sie vom Nutzer eine höhere Kompetenz im Umgang mit Informationen. Die Spaltung der Gesellschaft in solche, die Zugang zu Informationen haben und mit diesen umgehen können, und in solche, die davon ausgeschlossen sind, ist eine reale Gefahr. All diese Gefahren gilt es zu erkennen und zu minimieren. Zunächst erkannt und erprobt werden müssen jedoch auch die Chancen und neuen Möglichkeiten, die mit dieser Entwicklung einhergehen.

Erste Erfahrungen mit den neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten zeigen, daß vernetzte Medien lokale Kommunikation verdichten und globale Kommunikation herstellen können. Noch viel wichtiger als die Bereitstellung von Informationsangeboten ist jedoch die Frage, wie die Verfügbarkeit dieser neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten die kommunikative Kapazität beispielsweise des Parlamentes tatsächlich beeinflussen und verändern.

Inzwischen sind nahezu alle Ministerien und nachgelagerte Behörden des Bundes und der Länder im Internet mit einer eigenen Homepage präsent, auch der Deutsche Bundestag bietet seit einigen Jahren seine Informationsangebote im Netz an. Gefragt werden aber muß, ob und inwieweit die neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten in den tatsächlichen Kommunikationsabläufen und Kommunikationsstrategien genutzt werden und ob sie eine neue Verfahrenspublizität - gerade bei einer gesellschaftlichen Institution wie dem Deutschen Bundestag - schaffen können.

So gilt beispielsweise für die Arbeits- und Kommunikationsabläufe im Deutschen Bundestag, daß alle Abgeordneten und alle parlamentarischen Serviceeinrichtungen auch per E-Mail erreichbar sind, und so den direkten Kontakt erheblich vereinfachen können - wenn sie denn wollen. Inzwischen bieten auch zahlreiche Abgeordnete auf eigenen Homepages Informationen zu ihrer parlamentarischen Arbeit und Möglichkeiten der direkten Kontaktaufnahme an.

Aber werden diese Möglichkeiten tatsächlich auch genutzt, oder bestimmen nach wie vor Umlaufmappen und Fax die Arbeit des Parlamentes? Und wie so oft kann die Antwort nur lauten: Teils, teils - jedoch werden diese elektronischen Kommunikationsabläufe - intern und auch extern - schon bald zur Normalität eines jeden Parlamentariers gehören. Was sich abzeichnet ist, daß die Arbeitsläufe sich hierdurch extrem beschleunigen, daß die Kontaktaufnahme wesentlich vereinfacht und daß das Knüpfen von Kompetenznetzwerken wesentlich effektiver vonstatten geht.

3 e-Demokratie: Implementierung von e-Vote

Auch was die direkte Teilhabe an politischen Prozessen, das Abstimmen, angeht, so bieten die neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten immense Potentiale. Auch die Enquete-Kommission kam letztendlich zu diesem Ergebnis und empfiehlt in ihrem in ihrem Vierten Zwischenbericht (Deutscher Bundestag 1998b: 81), der sich mit Fragen der IT-Sicherheit, des Datenschutzes und des Strafrechtes auseinandersetzt, sehr deutlich:
"Auch die Ermöglichung einer informationstechnisch sicheren Wahl neben der heutigen Urnen- und Briefwahl könnte einen großen Beitrag zur besseren Akzeptanz [der neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten, Anm. d. Verf., JT] leisten."

Wenn hier noch offen gelassen wird, bei welchen Wahlen auch die elektronische Stimmabgabe ermöglicht werden sollte, geht die Kommission in ihrem Schlußbericht (Deutscher Bundestag 1998a: 81) noch ein Stück weiter: "Bei Bundestagswahlen sollte das Angebot gemacht werden, künftig in Ergänzung zur Urnen- und Briefwahl unter Gewährleistung von Datenschutz und Datensicherheit auch per Internet zu wählen. Allerdings muß sichergestellt sein, daß freie und geheime Wahlen auch bei der elektronischen Stimmabgabe gewährleistet sind."

Ob die elektronische Stimmabgabe wirklich sofort bei Bundestagswahlen erprobt werden sollte, oder ob zunächst auf einer kleineren Ebene und in kleineren Einheiten mit den neuen Beteiligungsmöglichkeiten und -formen experimentiert werden sollte (z.B. in den virtuellen Gemeinschaften wie dem Virtuellen Ortsverein der SPD, in Universitäten und Unternehmen oder den ersten digitalen Städten), sei zunächst dahin gestellt - zum Teil wird in diesen Projekten die "elektronische Demokratie" ja bereits heute erprobt.

Entscheidend ist, daß auch die Politik die neuen Möglichkeiten und Formen des direkten Austauschs mit und der Beteiligung der Bürger an der politischen Willensbildung anerkennt, ernst nimmt und zu nutzen bereit ist. Drängender als die Ermöglichung einer elektronischen Stimmabgabe bei einer Bundestagswahl stellt sich m.E. die Frage, ob und inwieweit beispielsweise "Televoten" - als eine "wissenschaftliche" Methode der interaktiven und abwägenden Meinungsbefragung mittels neuer Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten - genutzt werden könnten und wie sich beispielsweise die neuen Techniken eignen, virtuelle Anhörungen (etwa der in der Regel nicht-öffentlich tagenden Bundestagsausschüsse) oder auch Projektausschreibungen und kommunale Planungsverfahren (z.B. GMD-Projekt Bonn/St. Augustin) öffentlich zu machen und zur Beteiligung der betroffenen Gruppen einzuladen - etwa im Sinne eines call for paper während der parlamentarischen Beratung neuer Gesetze.

Diese Möglichkeiten sollen, auf Initiative der Koalitionsfraktionen, in dem e-Demokratie-Projekt www.moderner-datenschutz.de erprobt werden - was nur eines der gegenwärtig vorbereiteten und durchgeführten e-Demokratie und e-Gouvernment-Aktivitäten ist, und welches im folgenden - neben den e-Demokratie-Aktivitäten der Bundesregierung bzw. von der Bundesregierung geförderten Projekten www.staat-modern.de und MEDIA@komm kurz vorgestellt werden soll.

4 e-Gouvernment-Aktivitäten der Bundesregierung und des Bundestages

In den vergangenen Jahren wurden eine Reihe von wichtigen und zukunftsweisenden e-Demokratie und e-Gouvernment-Aktivitäten gestartet, die hier nicht im einzelnen und vollständig vorgestellt, zumindest aber überblicksartig erwähnt werden sollen.

Staat-Modern: Das Bundesministerium des Innern hat federführend für die Bundesregierung unter der überschrift "Staat Modern" die Aktivitäten zur Modernisierung von Staat und Verwaltung und der neuen Rolle des "aktivierenden Staates" übernommen. Die Initiative D 21, in der zahlreiche Vertreter der deutschen IT-Branche und der Bundesregierung zusammenarbeiten, unterstützt die Bundesregierung - neben zahlreichen wichtigen anderen Projekten wie die Ausstattung der Schulen mit internetfähigen Computern - hierbei, um zu einer Vorreiterrolle des Staates zu gelangen.

Media@komm: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützen zahlreiche wichtige Projekte, wobei sich Media@komm als größter Pilotversuch des Bundes (60 Mio. DM im Aktionsplan) bereits in der Realisierungsphase befindet. Ziel ist es, Best-Practice-Beispiele für eine virtuelle Stadt zu schaffen, in der Bürgerinnen und Bürger, öffentliche Verwaltung und Unternehmen zur gemeinsamen und multimedialen Gestaltung ihres kommunalen Alltaglebens zusammengeführt werden. In allen Lebenslagen sollen Behördengänge, Dienstleistungen und geschäftliche Transaktionen in virtuellen Rathäusern und Marktplätzen abgewickelt werden können, der Service und die Transparenz öffentlicher Angebote deutlich gesteigert und bürgnah umgesetzt werden. Derzeit werden die siegreichen Wettbewerbsbeiträge der Städte Bremen, Esslingen und Nürnberg umgesetzt.

www.moderner-datenschutz.de: Auf Initiative der Koalitionsfraktionen hat der neu gegründete Unterausschuß für Neue Medien beim Bundestagsausschuß für Kultur und Medien beschlossen, ein Pilotprojekt zur Verwirklichung der elektronischen Demokratie zu unterstützen. Unter den Adressen www.moderner-datenschutz.de und www.modernes-datenrecht.de wird die umfassende Novellierung des deutschen Datenschutzrecht im Netz begleitet. Ziel des Projektes ist es, das Gesetzgebungsverfahren ein Stück weit in das Netz zu transportieren und eben nicht nur Textbeiträge, Gesetzentwürfe, Stellungnahmen zur Kenntnisnahme zu veröffentlichen, sondern mit den tatsächlich Betroffenen - und deswegen eignet sich das Datenschutzthema besonders, weil nahezu alle Nutzer der neuen IuKMöglichkeiten auch Betroffene sind und der Datenschutz die zentrale Akzeptanzvoraussetzung der Informationsgesellschaft ist - diese Texte zu diskutieren. Neben den öffentlich zugänglichen Informationsangeboten wird also in diesem Projekt den Dialogelementen wie Diskussionsforen, Arbeitsforen, etc. zentrale Bedeutung zukommen.

Beschluß der Unterausschusses vom 07. Juli 2000: Der Unterausschuss Neue Medien des Ausschusses Kultur und Medien hat am 7. Juli 2000 beschlossen, die zweite Stufe der Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes zum Anlaß zu nehmen, den Gesetzgebungsprozeß mit einem Projekt zur elektronischen Demokratie zu begleiten. Ziel ist es, die Modernisierung des Datenschutzrechtes zugleich als Modellprojekt zur Erprobung neuer Beteiligungsformen einer elektronischen Demokratie nutzen, wie dies auch die Enquete-Kommission "Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" des 13. Deutschen Bundestages angeregt hat. Unter einer eigenen Projektdomain (aktuell die Adressen www.moderner-datenschutz.de und www.modernes-datenrecht.de) sollen die Ergebnisse der Expertengutachten, die Positionen der Bundestagsfraktionen, die von den Verbänden eingereichten Stellungnahmen usw. im Internet veröffentlicht und zur Diskussion gestellt werden. Den Fraktionen werden auf dieser Seite Räume reserviert, in denen sie ihre Dokumente in eigener Verantwortung veröffentlichen und/oder in verschiedenen Diskussionsforen mit unterschiedlichen Zugangsrechten zur Diskussion stellen können. Erprobt werden könnten hier auch neue Verfahren, beispielsweise ein politisches "Call for Paper" oder auch die Durchführung von "virtuellen Anhörungen". Mit diesem Projekt soll nicht nur ein Höchstmaß an Transparenz im Diskussionsprozess und dem sich anschließenden Gesetzgebungsverfahren erreicht werden, sondern die direkte Beteiligung aller Interessierten ermöglichen.

5 Fazit

Technische Innovationen und Verheißungen einer "elektronischen Demokratie" und einer "elektronischen Verwaltung" können sicher nicht als "Königsweg" bei der Lösung von allgemeinen Problemen der Gesellschaft und der parlamentarischer Demokratie angesehen werden, sie bergen jedoch erhebliche "emanzipatorische Potentiale" (Glotz 1995) in sich, die es zu erkennen und zu nutzen gilt. Die Innovationen auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnik erweisen sich dann als demokratierelevant, wenn sie Möglichkeiten eröffnen, auf die Probleme moderner demokratisch verfaßter Gesellschaften zu reagieren. Diese gilt es zu erkennen und zu nutzen.

Ich wünsche diesem Kongreß nicht nur einen guten Verlauf, vor allem möchte ich Ihnen wünschen, daß er einen Beitrag dazu leisten kann, diese Partizipationspotentiale zu erkennen und auszuloten, wie diese für die Gestaltung einer lebenswerten Wissens- und Informationsgesellschaft genutzt werden können. Die neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten können nach meiner festen überzeugung zur Modernisierung der Demokratie, zur Intensivierung der politischen Kommunikation und zur Herausbildung einer neuen Form von öffentlichkeit beitragen, die eine demokratische Gesellschaft erst möglich machen - nutzen wir diese Chance und Aufgabe!

Denn, was wäre die Alternative? Versäumt die Politik diese Herausforderung, werden in Zukunft die Gesellschaftsentwürfe ohne sie debattiert - und das wäre der wirkliche Abschied der Politik.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

Jörg Tauss, MdB, Mitglied des Deutschen Bundestages seit 1994, Beauftragter für Neue Medien und stellvertretender forschungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, ordentliches Mitglied im Ausschuß für Bildung und Forschung und im Ausschuß für Kultur und Medien, stellvertretendes Mitglied im Innenausschuß des Deutschen Bundestages, Vorsitzender des Unterausschusses für Neue Medien beim Bundestagsausschuß für Kultur und Medien. Korrespondenzanschrift: Jörg Tauss, MdB - Deutscher Bundestag - Unter den Linden 50 - 11011 Berlin - eMail: joerg@tauss.de.

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