Jörg Tauss, MdB


Übersicht 20.02.2002

Stellungnahme zum Vorgehen der Bezirksregierung Düsseldorf

Sperrungsverfügung gegen Access-Provider

Das Vorgehen der Bezirksregierung Düsseldorf gegen Internet-Access-Provider in Nordrhein-Westfalen ist in politischer Perspektive fehlgeleitet und in rechtlicher Hinsicht unhaltbar.

Politische Bewertung

Schon heute steht fest, dass der politische Schaden infolge der rechtswidrigen Sperrungsaufforderung groß ist. Auch das Image des Medienstandortes Nordrhein- Westfalen hat gelitten. Die Außenwirkung des isolierten Düsseldorfer Vorgehens sind alles andere als positiv. Die teilweise heftigen politischen und auch rechtlichen Auseinandersetzungen sind dafür nur ein Beleg. Das Vorgehen bedroht darüber hinaus es die Grundlage für die bisher vertrauensvolle und beidseitig verlässliche Zusammenarbeit zwischen Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Der in der Sperrungsverfügung erweckte Eindruck, dass in den Anhörungen auch mit den Providern ein Konsens hinsichtlich des Vorgehens erzielt werden konnte, trifft nicht zu. Entgegen diesem Eindruck konnte keine Einigkeit über die technische Möglichkeit von Sperrungen hergestellt werden. Die von den Unternehmensvertretern vorgebrachten grundsätzlichen technischen Einwände („bekannte ineffektive Manipulationsversuche“) sind nicht berücksichtigt worden. Die Düsseldorfer Bezirksregierung wird die in ihrer Verfügung genannten „eigenen Recherchen“ darzustellen haben, will sie die Möglichkeit effizienter technischer Maßnahmen tatsächlich belegen. In einer ersten Reaktion sprechen die Verbände zurecht davon, „über den Tisch gezogen“ worden zu sein.

Der Düsseldorfer Regierungspräsident hat sich mit seinem Vorgehen isoliert. Sowohl die anderen deutschen Aufsichtsbehörden als auch die entsprechenden Stellen in anderen demokratischen Staaten haben bisher aus guten Gründen keine derartige Maßnahmen ergriffen. Selbst das oft als Präzedenzfall angeführte französische Yahoo- Urteil fordert eben keine generelle Filterung seitens französischer Access- Provider, sondern verpflichtet einen amerikanischen Diensteanbieter dazu, bestimmte Bereiche seines nach deutschem Recht als Teledienst einzuordnenden Angebots für französische Nutzer unzugänglich zu machen. Auch stimmen die meisten verantwortlichen deutschen Politiker, im Jugendschutz und im Menschenrechtsbereich engagierte Organisationen und Verbände und selbst die gemeinsame Stelle der Länder jugendschutz.net darin überein, dass eine generelle, zentrale Filterung technisch nicht möglich ist. Eine solche ist darüber hinaus aber auch aus demokratischer Sicht keinesfalls wünschenswert. Das ist auch die Auffassung des Staatsministers für Kultur und Medien, dem Gesprächspartner der Länder im Zusammenhang mit der Reform der Medienordnung, und ist auch von der SPD-Bundestagsfraktion mehrfach bestätigt worden.

Auch die DNS-Umleitung kann als eine Variante der zentralen Filteranwendungen aufgefasst werden. Insbesondere die Umsetzung der offenbar ebenfalls von der Bezirksregierung nicht gänzlich ausgeschlossenen Proxy- oder Router-Lösungen überschreiten sicherlich die Schwelle von der Einzelfallmaßnahme in Richtung einer verfassungsrechtlich bedenklichen Schaffung einer präventiven Infrastruktur zur Inhaltekontrolle im Internet. Denn technische Filter sind völlig zweckoffen, d.h. technische Maßnahmen, die den Zugriff auf problematische, etwa jugendgefährdende oder illegale Angebote effektiv verhindern, könnten prinzipiell jede andere Art von Inhalten ebenso zielgerichtet sperren. Die Risiken hinsichtlich einer Beeinträchtigung der freien Meinungsäußerung, der Angebots- und der Meinungsvielfalt liegen auf der Hand – wer bestimmt, was aus welchen Gründen gefiltert wird? Eine Frage, die bei international einheitlichen Straftatbeständen wie der Kinderpornographie noch relativ leicht beantwortet werden kann, allerdings bei nationalen Bewertungsunterschieden bestimmter Inhalte bereits problematisch wird. Beispielsweise variiert in den einzelnen Ländern die gesellschaftliche Bewertung von freizügigen Körperdarstellungen, kinder- und jugendgefährdenden Inhalten oder auch radikalen politischen Meinungsäußerungen zum Teil sehr deutlich, wie der derzeitige Fall in Nordrhein-Westfalen hinsichtlich rechtsextremistischer und fremdenfeindlicher Web-Angebote aus dem Ausland zeigt. Eine effektive Sperrung einzelstaatlich nicht erwünschter Inhalte würde daher eine zentrale und generelle Analyse und Filterung des gesamten grenzüberschreitenden Internetverkehrs voraussetzen, eine gerade aus demokratischer und grundrechtlich-freiheitlicher Perspektive höchst beunruhigende Vorstellung. Wir lehnen aus diesen Gründen jede zentrale und generelle technische Filterung der Web-, eMail- und Newsgroup-Kommunikation ab und sehen ausschließlich in teilnehmerautonomen Filtersystemen – d.h. vom Nutzer auf seinem PC eingesetzten Softwarelösungen – vertretbare technische Lösungsansätze.

Überhaupt nicht thematisiert wird hingegen die eigentliche Ursache für die Rechtsdurchsetzungsprobleme, nämlich die transnationale Dimension der neuen IuKNetzwerke und die daher notwendig kollidierenden Rechtsnormen. Wie bereits angedeutet, besteht nur teilweise ein Rechtsdurchsetzungsproblem im engeren Sinne, vielmehr stoßen unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Bewertung extremistischer oder fremdenfeindlicher politischer Äußerungen sowie des Rechtes auf eine freie Meinungsäußerung aufeinander. Dies ist eine eklatante Rechtsungleichheit zwischen Deutschland, Frankreich und vor allem den USA, und dies wird aller Voraussicht nach und auch trotz der Cybercrime-Konvention des Europarates , die in einem Zusatzprotokoll eine Strafbewehrung rechtsextremistischer Äußerungen und Angebote empfiehlt, auch so bleiben. Das etwas naive Verständnis internationaler Politik der Düsseldorfer Bezirksregierung, die mit einem amtlichen Schreiben die amerikanische Aufsichtsbehörde aufforderte, die fraglichen Angebote amerikanischer Content- oder Host-Provider zu sperren, scheiterte am ersten Zusatz zur US-Verfassung. In der Tat hatte diese Strategie keine besonderen Erfolgschancen, was in der Sperrungsverfügung zutreffend beschrieben wird.

Rechtliche Bewertung der Verfügung

Die Sperrungsverordnung der Düsseldorfer Bezirksregierung sind rechtswidrig. Auf den bereits vorliegenden Ergebnisse juristischen Stellungnahmen zum Mediendinestestaatsvertrag im Allgemeinen und zu § 18 Abs. 3 MDStV beurteilt, sind die von der Bezirksregierung angeführten Bestimmungen unanwendbar, muss eine Sperrung als technisch unmöglich und unzumutbar angesehen und die Sperrung als unverhältnismäßig angesehen werden. Rechtlich fragwürdig ist außerdem die Ermessensausübung der Bezirksregierung.

Der Mediendienste-Staatsvertrag ist auf Access-Provider nicht anwendbar

Zwar scheinen § 3 Abs. 1, 5 Abs. 3 MDStV auch reine Zugangsvermittler als „Anbieter“ im Sinne des Staatsvertrages zu bestimmen. Nach § 18 Abs. 3 MDStV müssen sie aber zugleich Anbieter von fremden Inhalten sein (Vgl. Hoeren, Thomas: Stellungnahme zur geplanten Sperrverfügung der Bezirksregierung Düsseldorf (Anhörung am 13.11.2001), S. 2) Solche Anbieter sind nach Stimmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur Dienstleister, die es dem Nutzer entweder als eigenständige Dienstleistung oder aus einem anderen Dienst heraus ermöglichen, zu einem anderen Diensteanbieter weiterzugehen (Tettenborn/Maennel, in: Engel-Flechsig, Stefan u.a. (Hrsg.): Beck’scher IuKDG-Kommentar, München 2001, § 3 MDStV, 3 TDG Rn. 11). Darunter werden etwa Betreiber von Suchmaschinen gefasst (Vgl. Hoeren, a.a.O., S. 2.). Reine Zugangsvermittler bieten nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung dagegen keine Mediendienste an und fallen deswegen nicht unter §§ 18 Abs. 3, 5 Abs. 3 MDStV (Vgl. Hoeren a.a.aO.).

Für dieses Ergebnis kann weiter angeführt werden, dass die Zugangsvermittlung als rein wirtschaftlicher Vorgang ohne Bezug zum übermittelten Inhalt eher in den bundesrechtlichen Regelungsbereich fällt als in die Kompetenz der Länder (Vgl. Koenig, Seite 4 von 9 Christian; Loetz, Sascha: Sperrungsanordnungen gegenüber Network- und Access- Providern, in: Computer und Recht 1999, S. 438 ff, hier zitiert nach der unter www.artikel5.de abrufbaren Zweitveröffentlichung.). Das ergibt sich auch aus § 2 Abs. 2 Nr. 4 MDStV demzufolge Abrufdienste, bei denen die „reine Übermittlung von Daten im Vordergrund steht“ nicht dem Staatsvertrag unterfallen. Denn wenn der MDStV schon auf diese auf der Applikationsebene einzuordnenden Dienste nicht anwendbar sind, dann ist eine Anwendbarkeit auf die unteren Ebenen des Datentransports, auf denen die Dienstleistungen des Access-Providers erfolgen, erst recht ausgeschlossen (Vgl. Koenig/Loetz, ebd. S. 6 f.).

Eine Sperrung ist technisch nicht möglich

Die Sperrung ist entgegen der Auffassung der Bezirksregierung im Sinne von § 18 Abs. 3 MDStV technisch nicht möglich. Denn jede der in der Sperrverfügung genannten Techniken ist mit einem vergleichsweise geringen Aufwand von den Nutzern oder den Anbietern der Inhalte zu umgehen (Vgl. Fox Dirk: Technische Systeme zur Gewährleistung von Jugendschutz im Internet, in DuD 2001, S. 717-722). Es kann aber nicht schon dann von der technischen Möglichkeit einer Sperrung ausgegangen werden, wenn der Zugang zu bestimmten Inhalten nicht vollständig, sondern nur für technisch weniger versierte Nutzer gesperrt ist, letztlich der Zugang also nicht verhindert, sondern nur erschwert wird.

Das folgt aus einer der juristischen Methodik entsprechenden Auslegung. Diese beginnt mit dem Bedeutungsgehalt, dem ein Begriff nach dem allgemeinen Sprachgebrauch zukommt. Dem kommt die Auslegung am nächsten, § 18 Abs. 3 MDStV verlange eine vollständige oder zumindest weitgehende Sperrung. Das ergibt sich schon aus dem Begriff der Sperrung selbst. Denn Sperrung ist eben nicht lediglich als bloße Erschwerung oder Behinderung des Zugangs zu verstehen, sondern als dessen Verhinderung. Denn weil eine Erschwerung des Zugangs zu einem Internet-Angebot stets möglich sein dürfte, wären die Voraussetzungen an eine entsprechende Sperrungsverfügung zu gering.

Dem Ergebnis, dass § 18 Abs. 3 MDStV die technische Möglichkeit einer absoluten Sperrung voraussetzt, kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass im Recht der Gefahrenabwehr auch im Übrigen kein absoluter Erfolg einer Verfügung verlangt wird. Zwar trifft es zu, dass dort in der Regel als ausreichend angesehen wird, dass die Maßnahme jedenfalls ein Schritt in die richtige Richtung und nicht ungeeignet zur Bekämpfung der Gefahr ist (Vgl. (Vgl. Zimmermann, Andreas: Polizeiliche Gefahrenabwehr und das Internet, in: NJW 1999, S. 3150).

Diese allgemeinen Grundsätze, auf die sich auch die Verfügung bei der Begründung der Geeignetheit einer Sperrung bezieht, sind im Fall einer Maßnahme nach § 18 Abs. 3 MDStV jedoch nicht anwendbar. Denn für das aus dem Wortlaut folgende Verständnis, dass das Kriterium der technischen Möglichkeit einer Sperrung in § 18 Abs. 3 MDStV als Erfordernis einer oder zumindest weitgehend wirkungsvollen Zugangsverhinderung aufzufassen ist, spricht insbesondere der Sinn und Zweck des Mediendienstestaatsvertrages insgesamt. Denn mit dem Mediendienstestaatsvertrag und dem Teledienstegesetz war unter anderem beabsichtigt, insbesondere die Access- Provider von der Verantwortlichkeit für die von ihnen übermittelten Inhalte freizustellen. Diese Privilegierung wird durch die Ausnahme des § 8 Abs. 3 TDG und § 18 Abs. 3 MDStV für den Bereich des Ordnungsrechts zwar wieder eingeschränkt. Diese Ausnahmebestimmungen aber ist nach der juristischen Methodik – ebenso wie andere Ausnahmebestimmungen – eng auszulegen. Ließe man es zu, dass Access- Provider stets schon dann ordnungsrechtlich verantwortlich sind, wenn der Zugang zu im Ausland in das Internet gestellten Inhalten nur erschwert werden kann, wäre dies eine weite Auslegung, die dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis in sein Gegenteil verkehrt (Vgl. Koenig/Loetz, ebd., S. 4 f.). Denn weil sich die Mehrheit unzulässiger Inhalte auf Servern im Ausland befinden dürfte, würden dann statt der nach §§ 5 Abs. 1 und 2 MDStV verantwortlichen Content-Provider jedenfalls bei einer großzügigen Auslegung der Begriffe „technisch möglich und zumutbar“ regelmäßig die Access- Provider in die ordnungsrechtliche Haftung genommen werden können.

Wenn in der Verfügung dagegen darauf hingewiesen wird, dass der Gesetzgeber die technischen Möglichkeiten gekannt haben wird und deswegen nicht von der Möglichkeit einer Totalblockade ausgegangen sein kann, so ist das wenig überzeugend. Denn diese Argumentation läuft darauf hinaus, dass der Gesetzgeber über die technische Unmöglichkeit einer Sperrung informiert war, die technische Möglichkeit aber gleichwohl gefordert, eine solche aber nicht wirklich gemeint hat. Dass dies nicht nur der juristischen Methodik, sondern auch dem gesunden Menschenverstand widersprechen würde, liegt auf der Hand. Deswegen wollte der Gesetzgeber gerade aufgrund der Kenntnis um die technischen Schwierigkeiten einer Sperrung die Zulässigkeit einer solchen von der technischen Möglichkeit abhängig machen.

Die Sperrung ist unzumutbar

Unzutreffend ist weiter die Annahme der Düsseldorfer Bezirksregierung, die Sperrung des Zugangs zu den unzulässigen Inhalten sei zumutbar. Ob eine Sperrung zumutbar ist, muss aufgrund einer Abwägung anhand unterschiedlicher Kriterien entschieden werden. Zu diesen Kriterien zählen etwa die durch die unzulässigen Inhalte verletzten Rechtsgüter auf der einen und die durch die Kontrollmaßnahmen tangierten Rechtsgüter auf der anderen Seite, aber auch die Gefährdungs- und Rettungschancen dieser Rechtsgüter (vgl. Sieber, Ulrich: Verantwortlichkeit im Internet. Technische Kontrollmöglichkeiten und multimediarechtliche Regelungen, München 1999, Rn. 410 ff). Als unzumutbar werden insbesondere Maßnahmen anzusehen sein, die einen erheblichen Aufwand erfordern, die jedoch durch einen Zugriff auf entsprechende Informationsangebote im Ausland oder über andere Netzverbindungen mit einem vergleichsweise geringen Aufwand umgangen werden können (Vgl. Sieber, ebd., Rn. 423; siehe auch BT-Drs. 13/7385 v. 9.4.1997, S. 16). Das dürfte auch bei den von Ihrer Behörde angeordneten Maßnahmen der Fall sein. Denn selbst wenn die Sperrungen geeignet sind, den Zugang von 70 bis 80 oder gar 90 Prozent der Nutzer zu den gesperrten Inhalten zu verhindern, so befinden sich noch zahlreiche weitere vergleichbare Inhalte im Netz, so dass die Chancen, den Schutz der deutschen Bevölkerung vor Volksverhetzung durchzusetzen, durch die Sperrung von zwei Internetangeboten nur unwesentlich vergrößert werden dürften (vgl. Hoeren, a.a.O., S. 3). Und ob die verlangten technischen Maßnahmen von den Access-Providern tatsächlich so einfach und kostengünstig ergriffen werden können, wie dies in der Sperrungsverfügung behauptet wird, bleibt abzuwarten.

Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass auch die von den Jugendministerinnen und Jugendministern der Länder eingerichtete Stelle davon ausgeht, dass eine Sperrung beim gegenwärtigen Stand der Technik unmöglich ist. Auf der Web-Seite dieser Stelle heisst es:

"Für den Access-Provider im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 3 TDG, der also lediglich den Zugang zum Internet oder zu weiteren Netzen ermöglicht, ist die Sperrung nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand von jugendschutz.net noch nicht technisch möglich und zumutbar, denn die technisch mögliche Sperrung ganzer ausländischer Server würde dem Nutzer zugleich eine große Zahl durchaus zulässiger und interessanter Angebote verschließen, und die zumutbare gezielte Sperrung einzelner als unzulässig erkannter Angebote scheint technisch noch nicht möglich. Bildlich gesprochen: Würde man eine solche Sperrung verlangen, weil der Zugang zum Netz unter anderem eben auch Zugang zur Pornographie ermöglicht, so wäre dies ähnlich zu werten, wie wenn ein Lehrer wegen Zugänglichmachung von Pornographie belangt wird, bloß weil eine Klassenfahrt in eine grenznahe ausländische Stadt stattgefunden hat, in der Pornographie in den Geschäften offen ausliegt. Dies ist in der Tat anders zu bewerten, als wenn er junge Menschen gezielt zu diesen Geschäften hinführt."

Die Sperrung ist unverhältnismäßig

Die Sperrungsverfügung ist unverhältnismäßig. Entgegen der Auffassung der Bezirksregierung ist sie kein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel, um den angestrebten Erfolg zu erreichen.

Geeignet im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist eine Sperrungsanordnung, wenn eine Sperrung überhaupt technisch möglich ist und darüber hinaus auch noch das Ziel erreichen kann, die Verbreitung bestimmter Inhalte zu verhindern oder zumindest einzuschränken (Vgl. Zimmermann, a.a.O., S. 3150). Das ist wegen der bereits beschriebenen Möglichkeiten der Umgehung der Sperrung und des Zugriffs auf vergleichbare Inhalte problematisch. Und dass diese Möglichkeiten auch genutzt werden, ist angesichts der kritischen Haltung, die viele Internet-Nutzer gegenüber Sperrungen einnehmen, durchaus wahrscheinlich. So kursierten schon rasch nach der diskutierten Sperrung entsprechende Hinweise im Netz. Es ist daher und wegen der mit der Sperrungsanordnung verbundenen Öffentlichkeitswirkung nicht abwegig, anzunehmen, dass die Sperrung dazu geführt hat, dass mehr Nutzer auf die illegalen Inhalte zugreifen können, als es ohne die Sperrung der Fall gewesen wäre. Entsprechend wurde Anfang Februar auf der Seite von Gary Lauck stolz verkündet, dass es im Januar 3 Millionen Zugriffe auf das Angebot gegeben habe. Letztlich muss deswegen davon ausgegangen werden, dass die Effektivität von Aufsichtsmaßnahmen, die – wie die Sperrung einzelner Webseiten – auf ein generelles Verbot extremistischer Äußerungen im Internet zielen, äußerst begrenzt ist (Vgl. Hornig, Michael: Möglichkeiten des Ordnungsrechts bei der Bekämpfung rechtsextremistischer Inhalte im Internet. Zur Internet-Aufsicht auf der Grundlage des § 18 Mediendienste- Staatsvertrags, in: ZUM 2001, S. 846-857 (854)).

Eben aus diesen Gründen ist auch die Erforderlichkeit einer Sperrungsanordnung fraglich. Denn als erforderlich im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gilt ein Eingriff nur dann, wenn kein milderes, zugleich aber ebenso effektives Mittel zur Verfügung steht. Dass solche Mittel zur Verfügung stünden, ist angesichts der begrenzten Wirkung einer Sperrung des Domain-Name-Servers und der durch sie zugleich ausgelösten Aufmerksamkeit für die inkriminierten Web-Seiten aber keineswegs auszuschließen. Zu denken wäre etwa an Aufklärungsmaßnahmen und die Bereitstellung von Filtertechniken für die Nutzer.

Problematisch ist schließlich auch die Angemessenheit einer Sperrungsanordnung im Verhältnis zu dem mit ihr verfolgten Ziel. Denn während das mit ihr verfolgte Ziel nach dem soeben gemachten Ausführungen einerseits allenfalls unvollständig erreicht wird, schränkt die Sperrung von Web-Seiten eine ganze Reihe von verfassungsrechtlich bedeutsamen Belangen ein.

An erster Stelle ist dabei die Kommunikationsfreiheit des Art. 5 GG zu nennen, die zwar nicht unbeschränkt garantiert wird, insbesondere durch die mittelbaren Wirkungen einer Sperrungsandrohung aber auf eine Weise gefährdet werden kann, die Seite 8 von 9 bedenklich erscheint. Denn wenn auch zuzugeben ist, dass Belange des Jugendschutzes im Allgemeinen und der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Beschränkungen der Kommunikationsfreiheit legitimieren können, muss dennoch berücksichtigt werden, dass die Gefahr weitergehender Beeinträchtigungen besteht, wenn Access- Provider Geldbußen befürchten müssen, weil sie bestimmte Inhalte nicht hinreichend ausfiltern können. Dann nämlich besteht die Gefahr, dass diese Provider zur Vermeidung möglicher Nachteile auch Inhalte sperren, die an sich unbedenklich sind. Im Ergebnis würden dadurch private Unternehmen zu einer Art Zensurstelle, die darüber entscheidet, welche Informationen zu den Bürgern gelangen können und welche nicht, ohne dass die gleichen rechtsstaatlichen Vorkehrungen gegen einen Missbrauch dieser Macht bestehen würden wie gegenüber staatlichen Einschränkungen der Kommunikationsfreiheit (Vgl. Hoffmann-Riem, Wolfgang: Wider die Geistespolizei, in: Die Zeit 50/2001). Hält man sich das große Missbrauchspotenzial, das gerade bei zentralen technischen Filtersystemen besteht, und die Bedeutung der Kommunikationsfreiheit für eine freiheitliche Demokratie vor Augen, so muss diese Gefahr als besonders schwerwiegend angesehen werden. Eben mit dieser Begründung sind im Interesse des Jugendschutzes eingeführte Bestimmungen in den Vereinigten Staaten von Amerika durch den Supreme Court für verfassungswidrig erklärt worden (Vgl. Engel, Christoph; Keller, Ken: Global Networks and Local Values: A Comparative Look at Germany and the United States, Washington 2001, S. 115 f m.w.N.).

Hinzu kommen Einschränkungen der Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung der Access- Provider. Insbesondere für kleine Provider kann die Einrichtung einer Sperrung u.U. einen erheblichen technischen Aufwand bedeuten, zumal in vielen Fällen aufgrund der oben genannten technischen Umgehungsmöglichkeiten eine ständige Aktualisierung der technischen Einstellungen notwendig sein wird (Vgl. Zimmermann, Polizeiliche Gefahrenabwehr, S. 3151).

Erschwerend wirkt zudem, dass aufgrund der dezentralen Aufsichtsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland wahrscheinlich ist, dass in vielen Fällen nicht alle Provider den gleichen Sperrungsanordnungen unterliegen. Das birgt für den einer Anordnung unterliegenden Provider nicht nur aufgrund der zahlreichen „Internet-by-Call“- Angebote die Gefahr, dass Kunden zu einem anderen Anbieter wechseln und die mit einer Sperrung angestrebte Wirkung verpufft. Entsprechend wird von Zimmermann angenommen, eine Sperrungsanordnung sei nur dann angemessen, wenn sie allen in Deutschland tätigen Zugangsanbietern auferlegt wird (Vgl. Zimmermann, Polizeiliche Gefahrenabwehr, S. 3150).

Stellt man die negativen Auswirkungen der Sperrungsverfügungen gegen Access- Provider den vermutlich nur geringen positiven Effekten gegenüber, müssen sie mit einer in der rechtswissenschaftlichen Diskussion zunehmend vertretenen Auffassung auch als unangemessen angesehen werden (Vgl. Zimmermann, Polizeiliche Gefahrenabwehr, S. 3150 f ; Hornig, Möglichkeiten des Ordnungsrechts, S. 856 f).

Die Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung ist fraglich

Problematisch ist schließlich auch die Rechtmäßigkeit der Ausübung des der zuständigen Behörde in § 18 Abs. 3 MDStV eingeräumten Ermessens. Auch hier kann die technische Möglichkeit einer Sperrung unter dem Gesichtspunkt der Geeignetheit des eingesetzten Mittels zur Förderung des mit ihr verfolgten Zwecks diskutiert und können im Rahmen der Erforderlichkeits- und Angemessenheitsprüfung die Betroffenheit und das Gewicht der tangierten Rechtsgüter problematisiert werden. Insofern kann auf die oben gemachten Ausführungen verwiesen werden.

Zugleich ist aber darauf hinzuweisen, dass es nach dem Opportunitätsprinzip grundsätzlich dem Ermessen der Behörde überlassen bleibt, ob, wie und gegenüber wem sie im konkreten Fall die ihr zur Verfügung gestellten Mittel einsetzt. Dieser Grundsatz ist nach § 18 Abs. 2 MDStV im Hinblick auf das Entschließungsermessen zwar eingeschränkt, dürfte nach § 18 Abs.- 3 MDStV im Zusammenhang mit Access-Providern jedenfalls aber bei der Auswahl der Mittel und der Adressaten einer Verfügung uneingeschränkt gelten. Der Behörde wäre daher ein flexibleres Vorgehen durchaus möglich gewesen.

Zusammenfassend ist somit zu sagen, dass das Vorgehen der Düsseldorfer Bezirksregierung sowohl in rechtlicher, technischer als auch in politischer Hinsicht untragbar ist.


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