Jörg Tauss, MdB


Jörg Tauss

Politik und Medien

Ev. Studentengemeinde Karlsruhe, 19.11.2000

Die Jünger fragten Jesus: Weshalb redest Du in Gleichnissen? Und er antwortete ihnen nach Mattdäus sinngemäß: Ja Ihr versteht das Ganze. Denen, dem Volk also, ist das nicht gegeben. Denn mit sehenden Augen sehen sie nicht, mit hörenden Ohren hören sie nicht2 . Vielleicht, würde man heute sagen, fehlte es also dem Volk damals an Medienkompetenz, das zu verstehen, was ihnen reitende Boten mitteilten oder was auf den Marktplätzen auch an Informationen gehandelt wurde. Ist das heute anders? Schließlich haben wir Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen, Internet. "Der Rundfunk könne - so ist in Brechts Radiotdeorie aus dem Jahr 1932 zu lesen - als denkbar "großartigster Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens" angesehen werden, wenn er es verstünde "nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen."3

Mit dem Eintritt in die Informationsgesellschaft scheint nun dieser alter Menschheitstraum endlich in Erfüllung zu gehen. Jesus müsste nicht mehr in Gleichnissen reden: Denn die neuen Kommunikationstechnologien bieten zumindest potenziell die Möglichkeit, alle Gesellschaftsmitglieder in einem übergreifenden Kommunikationsnetz zu vereinigen und alle Informationen in Fülle zur Verfügung zu stellen: Wer hat, dem wird gegeben, auf dass er die Fülle habe 4. Dennoch stellt sich die Frage, ob wir durch Fülle besser sehen und besser hören. Ob es also uns gegeben ist, zu verstehen. Ob wir die Informationen in den richtigen Bezug setzen können. Information ist nicht Wissen und Wissen noch lange nicht Können, wiewohl alle Informationen heute zu jeder Zeit auch elektronisch abgerufen werden können. Dass dies leider nicht ganz so klappt, hat mir auch die Vorbereitung auf diesen Text gezeigt. So habe ich in die Profisuche von Altavista Mattdaeus 10 eingegeben. Die Antwort kam prompt: Mattdäus, Lotdar, Spieler mit der Nummer 10, geboren 1961 und so weiter.

Mit dieser Information hätte ich heute Abend also jetzt nicht, wie von den Veranstaltern erbeten, über die Wechselwirkung von Politik und Medien weitergesprochen, sondern über Fußball und wäre verwundert gewesen, warum dies nun gerade heute und an diesem Ort nicht Ihr tdema sein sollte..

Information ist also nicht alles, sondern nichts, wenn der Bezug fehlt. Dies gilt für Religion genauso wie für Sport oder Politik. Wir Politiker gelten in besonderem Maße mit Medien als symbiotisch verwoben. Was immer Regierung oder Opposition jeweils für gute Politik halten, steht unter dem Vorbehalt, dass es so - aber eben auch anders - von den Wählern beobachtet und eingeordnet werden kann. Massenmedien gelten als sehr einflußreich, weil sie der Bevölkerung eben eine Vorstellung davon vermittelten, was wichtig und richtig, gut oder schlecht sei und so die Ansichten der Bevölkerung darüber beeinflusst, was die Mehrheit denkt, meint, fordert und verurteilt.

Von Massenmedien wird also angenommen, dass sie nicht nur die Meinungen und Ansichten der Bevölkerung direkt beeinflussen, sondern indirekt auch die politische Entscheidungsfindung präformieren. In dieser Sichtweise geraten die Medien zu einer quasi-politischen Größe, die - ohne vergleichbare Legitimation - den eigentlichen Akteur Politik zu ersetzen und zu verdrängen droht5.

Die negativen Auswirkungen der Medienmacht bekommt insbesondere das Politiksystem zu spüren: Der Soziologe Richard Münch nimmt an, dass das gesellschaftliche Negativimage der Politik, die sogenannte Politikverdrossenheit, von den Massenmedien entscheidend mitverursacht wird: "Die schwindelerregende Geschwindigkeit, in der heute eine Politikeraffäre die andere ablöst, ist [...] nicht allein einer moralischen Verrottung der sogenannten politischen Klasse geschuldet, sondern auch der Jagd der Massenmedien nach dem Spektakel zur Unterhaltung ihres Publikums. [...] So unbestreitbar berechtigt diese massenmediale Aufklärung über das politische Geschäft ist, so sehr trägt sie jedoch dazu bei, daß Politik allein noch als Ränkespiel um Personen, Posten und Pfründe erscheint und darum um so mehr nur noch als solches betrieben werden kann. Die Sachprobleme geraten dabei jedoch zunehmend aus dem Blick"6.

Die Ausrichtung an der (erwarteten) Medienresonanz spiegelt sich aber auch an den politischen Inhalten wider, die Politik kommuniziert. Statt Politik zu machen, kümmert sich Politik - nach Meinung einiger Kritiker -weniger um die Lösung von Problemen als um die Darstellung von Lösungskompetenz.

Ob man dieser Auffassung ist oder auch nicht: Veränderungen im Mediensystem führen gleichwohl auch zu Veränderungen im Politiksystem. In diesem Sinne kann durchaus festgestellt werden, dass Politiker in wachsendem Maße die Bedeutung des Mediensystems erkennen, deren Wahrnehmungskriterien antizipieren und ihr eigenes Handeln danach ausrichten. Einige Autoren vermuten sogar, daß die Politiker jeglichen Kontakt zur Basis verloren haben. "Statt dessen lesen sie den Spiegel und die Bild-Zeitung. Das ist ihre politische Reduktion von Komplexität: Statt die Welt zu beobachten, beobachten Politiker, wie sie von den Massenmedien beobachtet werden.7" Diese Feststellung ist zu zutreffend wie falsch: Zum einen bleibt die Frage offen, wie Politiker denn die "Welt" beobachten sollen, wenn nicht (auch) über die Medien. Zum anderen übersieht sie, daß es ja gerade die Aufgabe der Medien ist, die unendliche "Welt-Komplexität" zu reduzieren und in verdaubare Informationshappen zu zerlegen.

So weit zur Beschreibung des "Jetzt-Zustandes", der in der öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte immer wieder mit Begriffen oder Schlagworten wie "Politikverdrossenheit", "Mediokratie" oder auch "Abwesenheit von Politik" charakterisiert wird. Begriffe wie Mediendemokratie (Mediokratie), oder Telekratie und selbst Mediengesellschaft bezeichnen jedoch oft - wie versucht wurde aufzuzeigen - nicht nur einen (vermuteten) Wandel der politischen öffentlichkeit, sondern summa summarum vermeintliche Krisensymptome der modernen Gesellschaft, die sich in der Informationsgesellschaft entfalten.

Mit anderen Worten: Kommunikationsmittel und -möglichkeiten bestimmen die Strukturen einer Gesellschaft, sie bestimmen über deren Größe, Reichweite und Stabilität. So kann man beispielsweise die (begrenzte) Reichweite der antiken und mittelalterlichen Gesellschaften, die auf die notwendige Erreichbarkeit ihrer Mitglieder angewiesen waren, noch heute an der Größe ihrer Marktplätze erkennen. Mit dem Ausbau einer globalen medialen Infrastruktur entsteht jetzt eine Art Marktplatz der globalen Informations-(Welt-) Gesellschaft - ein Marktplatz, auf dem nicht nur mit Waren gehandelt, sondern auf dem auch über Wissen und Werte, über Lebensentwürfe und um die Zukunft der Gesellschaft verhandelt wird. Das Internet kann dabei als elektronischer Marktplatz der Weltgesellschaft. gelten.

Dieser erneute Strukturwandel der öffentlichkeit wird für die Demokratie - die ja auf dem Prinzip öffentlichkeit beruht - nicht ohne Folgen bleiben. Dabei stellt sich die Frage, ob sich dieser Strukturwandel als Fortsetzung des Zerfalls bürgerlicher öffentlichkeit oder aber als Revitalisierung der Demokratie und der politischen öffentlichkeit erweisen wird. Die neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten und vor allem die Vernetzung bieten neue Formen der politischen und gesellschaftlichen Teilhabe an, die aber erst erkannt und genutzt werden müssen Wie die Partizipationspotentiale der sich abzeichnenden Informationsgesellschaft genutzt und mögliche Gefährdungen minimiert werden können, ist jedoch noch immer eine ungelöste Frage - vor allem aber eine Herausforderung für alle, welche die Formen der künftigen (Informations-) Gesellschaft mitgestalten wollen.8

Die neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten bergen ein gehöriges Maß an neuen Partizipationsmöglichkeiten in sich. Befürworter der sich entfaltenden Informationsgesellschaft sehen in ihnen die angemessenen Antworten auf die derzeitigen Probleme der Politik, auf die Unübersichtlichkeit und Komplexitätssteigerung der modernen Gesellschaft. Jedoch hat diese neu entstehende Form von öffentlichkeit auch ihre Schattenseiten.

Zum einen entstehen immer weiter differenzierte und segmentierte Teil-öffentlichkeiten. Die so entstehende Vielfalt und Verfügbarkeit an Informationen hat auch inflationäre Wirkungen: "Wer hat, dem wird gegeben, auf dass er die Fülle habe. Wer aber nicht hat, von dem wird genommen, was er hat9." Daraus leitet sich durchaus ein aktueller politischer und nicht allein religiöser Auftrag ab: Nämlich die gesellschaftliche Aufgabe, eine Grundversorgung an Information zu gewährleisten. Dadurch werden zwar nicht alle besser sehen und besser hören können oder wollen. Aber wer will und kann, wäre in der Lage, Gesehenes und Gehörtes in Bezug zu setzen, sich gesellschaftlich zu engagieren und mediale Politik zu hinterfragen. Auf dass nicht zutrifft, was Mattdäus wiedergibt: Denn dieses Volkes Herz ist verstockt, ihre Ohren können nicht hören und ihre Augen schlummern.10


Verweise:

2: Matthäus 10, Vers. 10, 11
3: Brecht
4: Matth. 10, ebenda
5: Dabei sind diese Sichtweisen in der Medien- und Kommunikationswissenschaft keineswegs unumstritten. Auf die Debatte über die Wirkmächtigkeit der Medien soll hier nicht ausführlich eingegangen werden.
6: Münch (1996): 161
7: Norbert Bolz
8: Vgl. hierzu Münchner Erklärung, München 1997, Burda - Akademie 3. Jtsd, "Politik und Internet".
9: Matth. 10, 12- 14
10: Ebenda
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