Sehr geehrte/r Frau/Herr Präsident/in,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir bestreiten heute die zweite große Biotechnologiedebatte innerhalb eines Jahres. Von der letzten Debatte unterscheidet sie sich jedoch dadurch, dass wir heute und in den nächsten Wochen Entscheidungen treffen müssen. Im Vorfeld wurde intensiv diskutiert. Die Wochenzeitung "Die Zeit" hat ihre Berichterstattung zur Bundestagsdebatte über den Import embryonaler Stammzellen überschrieben mit den Worten: Auf dem Basar der Bioethik: Der Bundestag stimmt ab. Und ein wenig hat sich in den vergangenen Tagen schon das Gefühl des Basars aufgedrängt - vor allem hinsichtlich der Übertreibung. Es ist von Dammbrüchen die Rede und davon, dass die Wissenschaft endgültig ihre Unschuld verliere, manche reden gar von einer neuen Barbarei. Motive der radikalen Globalisierungskritiker, beispielsweise die Angst vor der zunehmenden Unkontrollierbarkeit gesellschaftlicher Entwicklungen - wobei es sich eben hier nicht nur um wirtschaftliche sondern inzwischen auch um wissenschaftliche Entwicklungen handelt -, werden unhinterfragt auf das Thema Biotechnologie übertragen. Folgt man dieser Argumentation, führt man mehrere Debatten gleichzeitig und es wird unklar, worüber eigentlich geredet wird und welche Optionen tatsächlich zur Verfügung stehen. Es fehlt, mit anderen Worten, ein Koordinatensystem, das sowohl die Debatte erträglich macht als auch die Bewertung der Alternativen erst ermöglicht. Daher verwundert Es auch nicht, dass diffuse Ängste und Vorstellungen [über Argumente] dominieren. Und genau dies ist der Nährmoden für moralischen Rigorismus, der weder die Transparenz herzustellen noch wirkliche Alternativen aufzuzeigen vermag. Aufgabe der Politik ist es jedoch, nach einem sorgsamen Abwägungsprozess eben diese Alternativen zu formulieren und in eine verbindliche Entscheidungen münden zu lassen. Bei der politischen Zuspitzung der Debatte, bei der Polarisierung auf eine generelles Dafür- oder Dagegen, droht jedoch - wie soft oft - so manches in unzulässiger Weise verkürzt oder verzerrt zu werden. Die Art der Frage entscheidet auch hier über die Qualität des Diskussionsergebnisses.
Als Forschungspolitiker habe ich mich gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und mit der Vorsitzenden der Enquete-Kommission, Frau von Renesse, darum bemüht, auf andere zuzugehen, die anderer Auffassung waren. Ich habe keinen Zweifel, dass wir uns mit Frau Flach oder Frau Reiche sicher auch auf Texte hätten verständigen können. Aber Politik heißt auch, nach gesamtgesellschaftlich tragfähigen Kompromissen zu suchen und konsensfähige Abwägungen zu treffen.
Für mich stehen daher drei Fragen im Vordergrund:
und schließlich
Zur ersten Frage: Ja, Wissenschaft und Forschung sind alles andere als der Gesellschaft äußerlich oder eine Insel. Das ergibt sich schon allein aus der Tatsache, dass die Forschung am Menschen und die Forschung am und mit dem Humangenom zwangsläufig eine Besonderheit darstellen, die immer auch ethische Fragen aufwirft. Das bedeutet, dass dieser Bereich der Wissenschaft und Forschung mehr noch als andere Bereiche auf einen gesellschaftlichen Konsens angewiesen sind, der eine Beantwortung dieser oft sehr schwierigen ethischen Fragestellungen erlaubt. Insofern berührt diese Forschung das Selbstverständnis einer Gesellschaft grundlegend.
Zur zweiten Frage: Welchen Einfluss können wir auf diesen sensiblen Forschungsbereich nehmen? Gerade die zunehmende Internationalisierung des Wissenschaftssystems zeigt auf der einen Seite, dass sich die Politik weltweit den gleichen Fragen stellen muss und stellt. Selbst in den USA ist diese Debatte, anders als oft unterstellt wird, weiterhin strittig. Die Internationalisierung verlangt auf der anderen Seite, wie dies auch der Nationaler Ethikrat zutreffend festgestellt hat, nach vergleichbaren gesetzlichen Rahmenbedingungen. Erst dieser Zusammenhang führt eben dazu, dass es in dieser Frage keine rechtsfreien Fluchträume für Wissenschaftshassadeure und keine Paradiese für Forschungsabenteurer. Die Internationalisierung ist gerade in diesem Bereich und entgegen ihrer Unterstellung ein Vorteil, weil in diesem Bereich sich auch bereits eine internationale Öffentlichkeit herausgebildet hat. Die Diskussionen um manches amerikanisches Wirtschaftsunternehmen oder aber um umstrittene Forschungsvorhaben können hier als Beispiel angeführt werden. Noch wichtiger ist m.E. jedoch, dass wissenschaftlicher Fortschritt, wissenschaftliche Professionalität und wissenschaftliche Verantwortung sich nicht ausschließen, sondern einander bedingen. Die Gegner eines kontrollierten Stammzellenimports, die mit uns in der ersten Frage einer besonderen ethischen Verantwortung einig sind, erheben hier einen ungeheuren Generalverdacht gegen diejenigen, die diese Forschungen in der Praxis durchführen wollen - den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Als forschungspolitischer Sprecher meiner Fraktion weise ich nicht nur diese pauschalen Unterstellungen mit allem Nachdruck zurück, sondern möchte vielmehr eine Lanze für unsere Forscherinnen und Forscher sowie Forschungsinstitutionen brechen - die dies auch zurecht von uns einfordern und erwarten dürfen. Ich zitiere aus dem Schreiben der sechse Nobelpreisträgerinnen und -träger, dass an alle Mitglieder des Deutschen Bundestages gerichtet ist:
"...Die Verfassung räumt Forschung und Lehre ein Privileg ein. Für uns Wissenschaftler bedeutet dies, mit dem Privileg selbstverständlich auch sorgsam umzugehen, eine Pflicht, die wir sehr ernst nehmen."(Zitat-Ende)
Dem kann ich nur aus voller Überzeugung zustimmen. Dennoch sind wir es, die Politik, die der Wissenschaft durch gesetzliche Rahmenvorgaben den gesellschaftlichen Konsens zu vermitteln hat. Ihr verantwortungsbewusstes Handeln setzt Normenklarheit und Rechtssicherhit voraus, aus diesem Grund wird der Deutsche Bundestag ein Gesetz verabschieden, der eine verbrauchende Embryonenforschung verbietet und den Import bestehender Stammzelllinien unter hohen Auflagen regelt.
Wenn wir von der besonderen ethischen Verantwortung und der Möglichkeit der gesellschaftlichen Kontrolle sprechen und beides bejahen, bleibt schließlich drittens die Frage nach den Alternativen. Als Konsens kann unterstellt werden, dass es keine generelle Ja/Nein-Alternative zur Notwendigkeit biotechnologischer Wissenschaft und Forschung auch an Stammzellen gibt, zumal seit beinahe 20 Jahren auch in Deutschland an Stammzellen Grundlagenforschung betrieben wird. Vielmehr stehen wir im Kern vor zwei Fragen: muss neben der Forschung an adulten Stammzellen auch eine Forschung an embryonalen Stammzellen möglich sein? Und zweitens, wenn diese Frage bejaht wird, ob und unter welchen Bedingungen diese Forschungen auch in Deutschland durchgeführt werden. Da der Großteil der Forscher und der sie vertretenden Forschungsorganisationen uns versichern, dass für bestimmte Krankheiten derzeit keinerlei erfolgversprechenden Alternativen zur Forschung auch an embryonalen Stammzellen bestehen, sehe ich aus forschungspolitischer Sicht keine Alternative, als die erste Frage mit ja zu beantworten. Wobei aber eines klar bleiben muss: überall dort, wo dieselben Erfolge auf der Basis der Forschung an adulten Stammzellen erwartbar sind, ist diese vorzuziehen. Wenn wir es aus guten Gründen nicht wollen, dass wir in Deutschland und auch anderswo Stammzelllinien herstellen, sind wir daher auf den Import bestehender Linien angewiesen - denn die für mich fragwürdige Alternative wäre ein Deutschland, dass sich zwar nicht an der Forschung beteiligt, aber an deren eventuell positiven Ergebnissen partizipiert.
[Denn was passiert eigentlich in Deutschland, wenn im Ausland - mit Hilfe der Forschung an ES-Zellen, und hierauf die Bundesforschungsministerin ja zu Recht mehrfach hingewiesen - Therapiemöglichkeiten für Krankheiten gefunden werden, für die wir - weil wir den Import von ES-Zellen radikal ausgeschlossen haben - keine Antworten haben? Sollten dann Patienten in Deutschland tatsächlich nicht von den Früchten dieser Forschung an ES-Zellen profitieren dürfen?]
Dies ist nicht nur in Anbetracht der Internationalisierung der Forschung, sondern angesichts unserer eigenen ethischen Maßstäbe und Erwartungen unvertretbar.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus diesen Gründen lehne ich ein rigoroses Nein, wie es die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Antrages für ein generelles Importverbot fordern, ab und werbe nachdrücklich um ihre Zustimmung für den von Frau von Renesse, Frau Böhmer, Frau Fischer und anderen Kolleginnen und Kollegen aus den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und von Bündnis 90/Die Grünen vorgelegten Antrag "Keine verbrauchende Embryonenforschung: Import humaner embryonaler Stammzellen grundsätzlich verbieten und nur unter engen Voraussetzung zulassen". Nicht zuletzt die deutschen Wissenschaftsorganisationen haben vor wenigen Tagen in einem Schreiben betont, dass sie auf eine Entscheidung des Deutschen Bundestages warten, die - ZITAT - "in Abwägung der verfassungsrechtlich geschützten Güter Lebensschutz und Freiheit der Forschung und nicht zuletzt den Erwartungen vieler kranker und hilfsbedürftiger Menschen Rechnung trägt." Unser Gruppenantrag nimmt diese schwierige Abwägung vor, denn er wirbt für eine nachdrückliche ethische Verantwortung in der Biomedizin und fordert hohe Auflagen für die aus forschungspolitischer Sicht notwendige Forschung an embryonalen Stammzellen. Denn Forschung heißt auch Leben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Anmerkungen:
[Betrachtet man sich das Dammbruchargument etwas genauer, dann fällt auf, dass diese eigentlich in keiner Weise auf der heute anstehenden Entscheidung als vielmehr auf einem - und hierbei sind wir uns vermutlich einig - gefährlichen, jedoch auch - und hier sind wir uns vermutlich uneinig - sehr unwahrscheinlichen Szenario. Dieses geht von der Prämisse aus, dass die immer weitere "Optimierung" das eigentliche Anliegen der weiteren Ermöglichung von Biotechnologie sei, gleichsam so, als ob es darum ginge, das genetische Design zukünftiger Generationen vorherzubestimmen oder gar zu programmieren. Es geht denjenigen, die sich für einen Import embryonaler Stammzellen einsetzen und auch den Wissenschaftlern, die auf diese Möglichkeit der Forschung warten, aber nicht darum, alles was technisch denk- oder auch fürchtbar ist, zu verwirklichen - und ich bin der festen Überzeugung, dass wir dies als gesellschaftlichen Konsens unterstellen können. Es geht vielmehr darum, alles, was für die Entwicklung wirksamer Heilverfahren technisch notwendig ist, zu ermöglichen. Gleichzeitig wird in dieser Debatte eine Doppelmoral beklagt - und leider drängt sich dieser Eindruck tatsächlich auf - wenn man diese Debatte in den Kontext der langen Diskussion um den § 218 stellt oder aber auch nur die Frage zulässt: Und wer sich in den vergangenen Wochen so manche Predigt angehört hat, der muss beinahe annehmen, es gehe um die staatlich legitimierte "Tötung kleiner Menschen", von denen die Befürworter der Stammzellforschung profitieren wollten.]
[Dies bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass der Embryo keinen Schutz hätte. Er hat ihn nach Verfassungsrecht und im übrigen auch Embryonenschutzgesetz. Aber er hat ihn nicht absolut, wie auch die Freiheit der Forschung natürlich nicht absolut sein kann. Mit dem Imperativ des Heilens auf der einen und dem Unantastbarkeitsprinzip auf der anderen Seite stehen sich - jeweils für sich betrachtet - zwei gut begründete Prinzipien gegenüber, die jedoch im Einzelfall miteinander kollidieren können. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie gegeneinander ausgespielt werden können, sondern dass sie im Einzelfall miteinander abzuwägen sind. Und genau diese Abwägung stellt sich aus forschungspolitischer Perspektive dann, wenn man abwägen , und deshalb dar er auch gegen die Freiheit der Forschung, die möglicherweise Chancen des Helfens und Heilens erkennt, abgewogen werden wie er gegen andere Rechtsgüter ebenfalls abgewogen wird.]