Jörg Tauss, MdB


Auszug aus dem Plenarprotokoll: "Tagesordnungspunkt 4: Vereinbarte Debatte zu Recht und Ethik der modernen Medizin und Biotechnologie" vom 31. Mai 2001
Rede des Abgeordneten Tauss

Rede zur Bioethik

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jörg Tauss.

Jörg Tauss (SPD): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Eine Gleichsetzung des Embryos mit dem geborenen Menschen ist nicht angemessen. Und:
Forschung am Embryo ist vertretbar, wenn der Embryo überzählig ist und ohne hin sterben wird. Dies sind Zitate aus der Benda-Kommission, eingesetzt vom früheren Bundeskanzler, übrigens zu einem Zeitpunkt - der Kollege Merz ist nicht mehr da -, als der Bundestag ebenfalls eine Enquête-Kommission eingerichtet hatte. Wir sollten uns also hier nicht mit Dingen beschäftigen, die schon in der Vergangenheit ganz anders waren.

Dass wir heute über Bio- und Gentechnologie als Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts diskutieren, zeigt, dass wir mit Ambivalenzen zu tun haben. Auf der einen Seite haben wir mit enormen Ängsten zu tun, die auch heute zum Ausdruck gebracht worden sind. Auf der anderen Seite haben wir mit Hoffnungen zu tun, von denen ich meine, dass sie zum Teil, zumindest nach dem heutigen Stand, übersteigert sind. Wir sollten bei vielen Kranken nicht übersteigerte Hoffnungen wecken. Über vieles, was wir heute diskutiert haben, wird erst in den nächsten Jahren, möglicherweise Jahrzehnten, als Ergebnis berichtet werden können.

Die Debatte ist, glaube ich, deswegen so engagiert, weil sie eng mit unserer komplexen Gesellschaft verflochten ist, die nicht nur komplex ist, weil sie in vielen Punkten kompliziert wird, sondern auch deshalb, weil sie keinen Ort mehr kennt, an dem allgemeingültige und universelle Antworten und Wahrheiten begründet werden können. Sie ist auch deshalb komplex, weil weder ökonomische Nutzenkalküle noch wissenschaftliche Rationalität, aber auch nicht allein die Religion oder einzelne Juristen für die Gesellschaft als Ganzes sprechen können.

Vieles von dem, was irgendwann einmal als undenkbar, unsittlich oder unmoralisch erschien, wird heute ganz anders bewertet. Das gilt für den legalen Abbruch von Schwangerschaften, das galt im Mittelalter für das Öffnen von Leichen zum Zwecke der Wissenschaft oder das gilt für das Austragen des Kindes einer unfallverletzten Frau, bei der der Hirntod festgestellt wurde. Über diese Tabubrüche reden wir. Ich denke, wir reden nicht über Verbrechen der Vergangenheit. Ich würde mich als Forschungspolitiker dagegen wehren, dass die Arbeit der Deutschen Forschungsgemeinschaft und von vielen Biotechnikern und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in diesem Lande mit jenen Verbrechen gleichgesetzt wird. Das hat nichts miteinander zu tun. Diese Grenze sollten wir auch heute deutlich ziehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)

Dass gerade die Philosophie und natürlich auch die Theologie diese Fragestellung verstärkt aufgreifen müssen, wie wir gerade hier gehört haben, ist gerechtfertigt. Ich bedaure, dass die Geisteswissenschaften, die im merhin fast 20 Prozent des Etats der DFG bekommen, sich bei dieser Debatte mit Beiträgen noch immer bemerkenswert zurückhalten. Ich würde mir wünschen, dass es auch aus diesem Bereich mehr Beiträge gäbe.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt keine kategorischen Antworten. Ich zitiere das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, das gesagt hat, die Forschung könne das Gesamt der Forschung nicht überblicken. Das ist wahr. Im Umkehrschluss heißt dies aber auch, dass eine Amtskirche das Gesamt der Gesellschaft nicht überblicken kann, genauso wenig wie der Flügel einer Partei dies könnte. Deshalb will ich ein paar Punkte benennen, bei denen aus forschungspolitischer Sicht meiner Auffassung nach die Grenzen liegen.

Zunächst will ich keinen Schutz weniger Zellen im Reagenzglas, der stärker wäre als beispielsweise der Schutz der Embryonen im Mutterleib. Das ist nicht mein Verständnis von Menschenwürde. Es kann und darf keine "Züchtung" von Menschen geben. Kürzlich hat jemand gesagt: Wenn Eltern viel Geld für Privatschulen für ihre Kinder ausgeben, was man ihnen nicht übel nimmt, dann würden sie auch intelligente Kinder gezüchtet haben wollen. - Ich halte dies für eine Überschätzung der gentechnischen Möglichkeiten. Kinder, Menschen sind mehr als nur Zellen, sie sind mehr als nur möglicherweise im Reagenzglas erzeugte Gebilde, die beliebig manipulierbar sind. Wir könnten im Grunde genommen auch die Bildungspolitik einstellen, wenn wir davon ausgingen, dass man alles im Reagenzglas züchten könnte. Aber eine solche Züchtung darf es nicht geben und bei PID geht es auch nicht darum.

Es darf keine Eingriffe in die Keimbahn geben. Der genetische Neuentwurf des Menschen ist nicht das Thema, über das wir hier diskutieren; er ist auch nicht angestrebt.
Die Erzeugung von Embryonen für Forschungszwecke lehne ich ebenso ab. Im Gegensatz zu manch pessimistischer Aussage, die wir heute gehört haben, sage ich deutlich: Das könnten wir als Gesetzgeber verhindern; wir wären dazu in der Lage.

Aus diesem Grunde will ich mit einem Zitat von Robert Leicht aus der heutigen "Zeit" schließen. - Ich hoffe, wir sind davor bewahrt, eine ideologisierte Debatte zu führen, die möglicherweise nur zu Schärfen führt, die schwer zurückholbar sind. - Robert Leicht hat gesagt: "Ethischer Maximalismus im Gewand staatlicher Gesetze - das wäre ... der Schritt vom Fundament zum Fundamentalismus." Allen, die der Auffassung sind, dass wir diesen Schritt zum Fundamentalismus gehen sollten, sage ich: Ich würde nicht mitgehen, selbst dann nicht, wenn er unter dem Deckmantel der Menschenwürde daherkäme.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


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