Zur CeBIT’98 präsentiert die Bundesregierung nur Konzepte aus der Vergangenheit

18. März 1998 - 0332

Stellv. Fraktionsvorsitzender Enquête-Kommission ”Informationsgesellschaft”

Zur CeBIT’98 präsentiert die Bundesregierung nur Konzepte aus der Vergangenheit

Anläßlich der Eröffnung der CeBIT’98 in Hannover erklären der stellv. SPD-Fraktionsvorsitzende und Sprecher der Projektgruppe Informationsgesellschaft, Wolfgang Thierse und Jörg Tauss, Mitglied der Enquête-Kommission ”Informationsgesellschaft”:

Allen Ankündigungen zum Trotz hat es die Bundesregierung noch immer nicht verstanden, ihre Forschungspolitik den Erfordernissen des Wandels von der Industrie- zur Informationsgesellschaft entsprechend neu zu orientieren. Mit Konzepten aus der Vergangenheit setzt sie die Zukunft aufs Spiel.

Mit ihren bisherigen Förderkonzepten verfolgte die Bundesregierung das Ziel, den technologischen Rückstand Deutschlands im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik aufzuholen. Das Ergebnis war der weitere Rückfall Deutschlands auf Platz 6 beim Produktionswert informationstechnologischer Produkte hinter die USA, Japan, Taiwan, Singapur und Großbritan nien. Jüngstes Beispiel verfehlter konservativer Politik ist das neue Förderkonzept ”Innovationen für die Wissensgesellschaft 1997-2000” der Bundesregierung. Es verweigert sich neuen Herausforderungen und hält nach wie vor unbeirrt an alten Strukturen und Projekten fest :

· Obwohl sich auch in Kreisen der Regierenden herumgespro chen haben sollte, daß die Medien- und Kommunikationswirtschaft den größten Wachstumsmarkt der Zukunft darstellt, hat sich an der staatlichen Förderpolitik nichts geändert. An den im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik aufgebrachten Forschungsmitteln ist der Staat gerade mal mit fünf Prozent beteiligt. Außerdem fällt die Verteilung der spärlichen Fördermittel einseitig zugunsten der großen Unternehmen aus, obwohl es die kleinen und mittleren, besonders innovativen Unternehmen sind, die der Förderung bedürfen.

· Das Festhalten an überkommenen Förderkonzepten führt auch zu der absurden Situation, daß für den Bereich Mikroelektronik / Hardware doppelt so viel Fördermittel zur Verfügung gestellt werden wie für den wesentlich zukunftsträchtigeren Software-Bereich.

· Das Konzept der Bundesregierung vernachlässigt den Aufbau einer demokratischen Infrastruktur für die Informationsgesellschaft. Für die Öffentlichkeit dringend erforderliche, allgemein zugängliche Informationsangebote sollen kommerzialisiert werden. Der Umgang mit den wissenschaftlichen Fachinformationszentren (FIZ) ist ein Beispiel dafür.

· Hinsichtlich des rechtlichen Rahmens werden einerseits so wichtige Fragen wie die der Datensicherheit und des Datenschutzes immer noch unterbewertet, andererseits Nutzer und die junge Wachstumsbranche durch immer weitergehende Überwachungs- und Eingriffsmöglichkeiten verunsichert.

Für die Entwicklungschancen der deutschen Medien- und Kom munikationswirtschaft im internationalen Wettbewerb und für die Entstehung neuer Arbeitsplätze brauchen wir eine Umkehr staatlicher Forschungs- und Forschungsförderpolitik. Das phantasielose Festhalten an alten Konzepten oder die werbewirksame Umbenennung längst bestehender Projekte ist Ausdruck einer hilflos werkelnden Politik. Unser Ziel ist es, durch neue Wege in der Forschungs- und Förderpolitik die Chancen, die die Informationsgesellschaft bietet, konsequent zu nutzen.

Die Fördermittel für den informations- und kommunika tionstechnischen Bereich müssen deutlich aufgestockt werden. Dabei kommt es vor allem darauf an, die innovativen kleinen und mittleren Unternehmen zu stärken.

Wir plädieren für eine strikte Trennung zwischen Forschungsförderung auf der einen und Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation von Unternehmen auf der anderen Seite. Der vorwettbewerbliche Bereich gehört wieder ins Zentrum der Förderpolitik.

Die Forschungspolitik darf sich nicht länger auf die staatliche Finanzierung unsinniger technologischer Aufholjagden beschränken. Die Förderung und Entwicklung neuartiger und perspektivenreicher Technologien muß in den Mittelpunkt gerückt werden. Wir wollen uns deshalb auf die Förderung der Softwaretechnologie konzentrieren. Denn hier eröffnen sich für die deutschen Unternehmen auf den globalen Märkten die größten Chancen. Vorhaben wie Visualisierung, Spracherkennung oder auch die Netzentwicklung sind letzten Endes nur durch Fortentwicklungen der Softwaretechnologie möglich.

Die sichere und zuverlässige Nutzung von Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten wird immer wichtiger. Deshalb müssen die Fördermaßnahmen für Datenschutz, Kryptographie und IT-Sicherheit ausgebaut werden.

Der Aufbau einer öffentlichen, allgemein zugänglichen Infrastruktur ist für die demokratische Substanz der Informationsgesellschaft unverzichtbar. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, ihre Privatisierungspolitik an den Maßstäben der Vernunft auszurichten. Kommerzialisierung allein ist ökonomisch kurzsichtig und informationspolitisch falsch. Sie widerspricht nicht nur den eigenen Leitideen der Bundesregierung sondern auch den Empfehlungen des Wissenschaftsrats. Statt zielgerichtet und behutsam vorzugehen, gibt die Bundesregierung ohne Not solche Instrumente aus der Hand, die zur politischen Gestaltung der Informationsgesellschaft noch gebraucht werden. 18.03.1998 nnnn

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