Jörg Tauss, MdB


Jörg Tauss, MdB

Medienpolitik in Deutschland – Anschluß ans Informationszeitalter verpaßt

Vom Versäumnis der Politik, ein zukunftsfähiges Medienordnungskonzept zu entwickeln und der gleichzeitigen Bereitschaft, bei Detailfragen zu den Bausteinen eines solchen Konzeptes zu tragfähigen Kompromissen zu finden – vor allem in den Bereichen Datenschutz und IT-Sicherheit

Läßt man die medien- und kommunikationspolitischen Aktivitäten der letzten Legislaturperiode(n) Revue passieren, so fällt die Bilanz eher dürftig aus: Noch immer ist es der Politik nicht gelungen, ein tragfähiges und zukunftsgerichtetes Konzept einer umfassenden Medien- und Kommunikationsordnung zu entwerfen, das den Anforderungen einer globalen Wissens- und Informationsgesellschaft angemessen wäre. Zu einer ähnlichen Bilanz kam in diesen Tagen die Frankfurter Rundschau, die die Medienpolitik der vergangen Jahre mit dem Titel überschrieb: "Den Anschluß verpaßt – Bonn stolpert ins Informationszeitalter". Dabei waren die anstehenden Probleme offensichtlich und eigentlich während der parlamentarischen Beratung der verschiedenen Gesetzesvorhaben auch nur schwerlich zu überhören. Erwähnt seien in diesem Zusammenhang nur die Problematik des Schutzes in weltweiten Datennetzen, der Schutz und die Sicherheit von Informationen und Daten, der Schutz der Verbraucher und der Schutz der Kinder- und Jugendlichen, die Frage der Verantwortlichkeit für Inhalte, die Frage einer sicheren und selbstbestimmten Kommunikation in Datennetzen, etc. Kaum ein Tag verging, an dem nicht in den Medien über die Risiken der neuen Informations- und Kommunikationstechnologie berichtet wurde, als Stichworte seien nur Datenspuren und Profilbildung, Computerhacking und die Verbreitung von Kinderpornographie genannt.

Hinzu kommt, daß die Chancen zu einer grundlegenden Neuordnung des Medien- und Kommunikationsbereiches in dieser Wahlperiode günstiger standen, als je zuvor: Gegenstand der parlamentarischen Beratungen waren die Neuordnung des Telekommunikationsbereiches und – in Zusammenarbeit mit den Bundesländern – die Entwicklung eines Ordnungskonzeptes für die sogenannten Neuen Medien. Damit standen alle Regelungsbereiche, die von den Konvergenzprozessen zwischen Telekommunikation, medialer Kommunikation und Informationsverarbeitung erfaßt werden, auch auf der politischen Tagesordnung. Leider hat es die Politik jedoch noch immer nicht geschafft, sich von den "Schachtelpolitiken" (Peter Glotz) zu lösen. Der Deutsche Bundestag hat, festhaltend an tradierten Ordnungskonzepten, in der 13. Wahlperiode das Telekommunikationsgesetz (TKG) und das Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz (IuKDG, das sog. Multimediagesetz) zur Regelung der Rahmenbedingungen bei der Nutzung von Tele-Diensten verabschiedet, die Bundesländer haben mit dem Mediendienste-Staatsvertrag die Rahmenbedingungen bei der Nutzung von Medien-Diensten beschlossen.

Die Bemühungen des Gesetzgebers können damit auf folgende Formel gebracht werden: Die Welt verändert sich, und doch bleibt alles irgendwie beim alten – vorerst zumindest. Als gravierendste Probleme, die sich aus dem Festhalten an tradierten Medien- und Kommunikationsordnungskonzepten und dem Überstülpen dieser Regelungen auf die neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten ergeben, erweisen sich vor allem:

Die Frage, ob ein Diensteanbieter den Regelungen des einen oder des anderen Gesetzes unterliegt, macht für die junge Wachstumsbranche wegen des damit verbundenen finanziellen, technischen und personellen Aufwandes einen erheblichen Unterschied. Denn das, was sich zunächst nach formaljuristischen Definitionsproblemen anhört, sind Unterscheidungen, die eigentlich – angesichts der bereits heute beobachtbaren Konvergenzprozesse – keine wirklichen Unterscheidungen mehr sind, die aber gravierende Unterschiede machen – nämlich hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen. Vor allem mit Blick auf die Verantwortlichkeit für Inhalte ist die Zuordnung folgenreich, wie man an dem Verfahren gegen den Ex-CompuServe-Manager Felix Somm ersehen konnte. Dieses Verfahren, daß in der Öffentlichkeit weltweit sehr große Aufmerksamkeit gefunden hat, beweist vor allem, daß die dringend notwendige Rechtssicherheit in diesem wichtigen Zukunftsbereich noch immer nicht gegeben ist. Wegen der strafrechtlichen Komponente gewinnt diese Frage zudem eine existentielle Bedeutung für das Unternehmen und den Unternehmer. Dies könnte zur Grundentscheidung für eine ganzen Branche werden - viele Multimedia-Unternehmen erwägen ernsthaft die Verlagerung ihrer Neuinvestitionen ins Ausland. Parallel zu den parlamentarischen Beratungen dieser Gesetzesvorhaben hat der Bundestag auf Initiative von SPD und Bündnis 90/Die Grünen eine Enquete-Kommission zur Zukunft der Medien in der Informationsgesellschaft eingesetzt, die jedoch nur noch punktuell auf die laufenden Gesetzgebungsverfahren Einfluß nehmen konnte und bei einigen Gesetzesvorhaben – speziell bei der Beratung des Telekommunikationsgesetzes – und auch nicht mehr Einfluß nehmen sollte.

Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" hat nach zweieinhalbjähriger Arbeit in diesen Tagen ihren Abschlußbericht und fünf Zwischenberichte zu den Themen Meinungsfreiheit – Meinungsvielfalt – Wettbewerb, Urheberrecht, Jugendschutz, Sicherheit und Schutz im Netz und Verbraucherschutz vorgelegt.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß es auch der Enquete-Kommission leider nicht in allen Bereichen gelungen ist, Konsens in der Analyse der Folgen des gesellschaftlichen Wandels und den daraus abgeleiteten Empfehlungen an das Parlament zu erreichen. Oft haben die mittlerweile schon traditionellen medienpolitischen Grabenkämpfe, beispielsweise bei der neu geführten alten Debatte um den Rundfunkbegriff und mit der daraus resultierenden Fixierung auf die Rundfunkpolitik, den Blick auf die eigentlichen Fragestellungen verstellt. Auch Empfehlungen für tragfähige Konzepte einer (umfassenden) Medien- und Kommunikationsordnung der Zukunft, die auf die Herausforderungen des Wandels zur Informations- und Wissensgesellschaft zu reagieren in der Lage wären, konnten leider nur ansatzweise entwickelt werden. Für die Entwicklung eines solchen Modells – das sei fairerweise einschränkend hinzugefügt – kam die Enquete-Kommission jedoch auch mindestens um zwei Jahre zu spät.

Gleichzeitig muß jedoch positiv hervorgehoben werden, daß es der Parlamentskommission gelungen ist, in wichtigen Detailfragen, die bis dahin in der politischen Debatte äußerst kontrovers diskutiert wurden, zu sachgerechten Lösungsansätzen zu finden. Dies trifft vor allem auf die Bereiche des Datenschutzes und der Sicherheit der Informationstechnik zu. In einer Gesellschaftsformation, die den Umgang und die Verarbeitung von Daten und Informationen als Markierung des gesellschaftlichen Wandels bereits im Namen trägt, wird die Sicherheit und der Schutz von Informationen und Daten von entscheidender Bedeutung sein. Notwendig ist eine dieser Gesellschaftsformation angemessene neue Politik zum Schutz der Privatsphäre, denn ohne diesen wird es keine demokratisch verantwortbare "zivile" Informations- und Wissensgesellschaft geben. Zu den wichtigen – in der Enquete-Kommission im Konsens – verabschiedeten Empfehlungen an den Deutschen Bundestag – zählen insbesondere:

Als Fazit bleibt damit festzustellen, daß die wichtige Aufgabe der Politik, einen angemessenen Rahmen für die Informations- und Kommunikationsordnung der Zukunft zu schaffen, nur bedingt erfüllt ist, daß sie aber durchaus in der Lage ist, bei solch wichtigen Fragen wie dem Schutz und der Sicherheit von Informationen und Daten nach Lösungen zu suchen – auch wenn es sich hierbei z.T. um die umstrittensten Fragen überhaupt handelte. Notwendig ist es jedoch auch weiterhin, einen umfassenden Rahmen für eine Kommunikationsordnung der Zukunft zu entwickeln und umzusetzen, zumal dessen Erfordernis grundsätzlich kaum umstritten ist. Dabei muß endlich vom Denken in alten Schubladen Abschied genommen und nach neuen Formen der Zusammenarbeit in einem föderalen System gesucht werden. Einen denkbarer Ansatz wäre ein von Bund und Ländern gemeinsam getragenes Regulierungsorgan, beispielsweise in Form eines Bund-Länder-Medienrates. So könnten angemessene Rahmenbedingungen für die sich entfaltende globale Informations –und Wissensgesellschaft entstehen, die nicht bereits vor ihrer Verabschiedung den technischen Entwicklungen hinterherhinken und bestenfalls wirkungslos bleiben, im Zweifel jedoch genau zum gegenteiligen Effekt führen können. Darüber hinaus ist die Frage des Zugangs zu und des Umgangs mit Informationen eine der zentralen Herausforderungen der Informations- und Wissensgesellschaft. Die gegenwärtige Politik geht jedoch – schon wenige Tage nach Vorliegen des Berichtes der Enquete-Kommission – in eine gegenteilige Richtung, beispielsweise mit der Privatisierung der Fachinformationszentren in Karlsruhe und Berlin und mit der finanziellen Austrocknung des Deutschen Bibliotheksinstituts in Berlin (DBI). Wenn die Politik diesen Weg weiterhin verfolgt, wird dies ein weiterer und folgenreicher Rückschlag auf dem Weg in die Informationsgesellschaft sein.

Hinzukommen muß die Einsicht, daß angesichts der raschen technologischen Entwicklung die Haltbarkeitsdauer von Gesetzen nur noch beschränkt gegeben ist. Gerade im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik, der sich ja durch eine extrem hohe Innovationsgeschwindigkeit auszeichnet, müssen daher gesetzliche Regelungen von vornherein mit einem Verfallsdatum versehen werden und einer permanenten Evaluierung unterliegen.

Jörg Tauss ist Mitglied des Deutschen Bundestages und für die SPD-Bundestagsfraktion Mitglied im Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung und stellv. Mitglied in der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft".


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