Jörg Tauss, MdB


Redemanuskript Jörg Tauss, MdB

Debatte am 19. Juni, Antrag der Koalition "Jugendmedienschutz"

Frau ( Herr) Präsident (in),
Wir beraten heute einen reinen Show- Antrag der Koalition. Wer am Ende einer Legislaturperiode schnell noch den Jugendschutz entdeckt, wer am Ende einer Legislaturperiode solche Forderungen an eine Bundesregierung richtet, macht deutlich, daß es nicht um Jugendschutz sondern vorrangig um reine Wahlkampfsymbolik geht. Das hat der Jugendmedienschutz nicht verdient, meine Damen und Herren von Union und FDP. Dabei wäre eine Debatte zu diesem Thema schon vor Jahren mehr als notwendig gewesen. Sie haben medienpolitisch die Büchse der Pandora geöffnet und gleichen heute dem Brandstifter, der erst Feuer legt und dann angesichts des Feuers laut um Hilfe schreit. Sie können aber mit uns in der nächsten Legislaturperiode wenigstens nachträglich für einen modernen Jugendschutz sorgen. Jugendschutz ist notwendiger denn je. Ihr Antrag wird aber den Anforderungen an einen modernen Jugendschutz nicht gerecht. Denn unsere Kinder werden in einer Welt groß, in der sie das als vorhanden und damit normal erfahren, was die Erwachsenen als Ergebnis von starken Veränderungen erleben und was vielen Eltern und Erwachsenen Angst macht. Doch der Computer gehört Ende des ausgehenden 20. Jahrhunderts schlicht zum Alltag.

Je früher Kinder den Computer und die neuen Medien als selbstverständliches Werkzeug vorgeführt bekommen und zu benutzen lernen, um so eher werden sie auch diese neue Technologie als nützliches Hilfsmittel einsetzen. Und darum geht es. Die Furcht vor der sozialen Isolation, vor schädlichen Einflüssen auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, leitet sich nämlich weniger von den Kindern, sondern von jenen Erwachsenen ab, die der Faszination des neuen Mediums erliegen und regelrecht süchtig werden, oder sich aber kopfschüttelnd abwenden. Kinder reagieren da anders. Je selbstverständlicher ihnen eine Technologie ist, desto eher sind sie bereit, diese auch dosiert zu gebrauchen. Deswegen ist die Forderung nach möglichst frühem Einsatz von vernetzten Rechnern in der Schule ein Schritt hin zur Entzauberung des Mediums und zugleich die Voraussetzung für eine soziale Nutzung moderner Kommunikationsmedien.

Wie überall lauern natürlich auch in der virtuellen Welt Gefahren für Kinder- und Jugendliche, über deren Bewältigung die Medienpolitik in den letzten Jahren ganz besonders häufig nachgedacht hat. Es ist daher – entgegen meiner sonstigen Gewohnheit, das Positive und die Chancen der Neuen Medien hervorzuheben – notwendig, zunächst über diesen Aspekt zu sprechen. Erlauben Sie mir dazu einige provokante Ansichten:

In der Hitze der Diskussion und dem Gefühl der Betroffenheit heraus, neigen einige Jugendschützer leider – leider neben Frau Nolte darunter auch einige JugendministerInnen der Länder - allzu häufig dazu, "Gefährdungen" und "Straftaten" miteinander zu vermischen. Aus rechtsstaatlicher Sicht ist jedoch streng zwischen dem zu unterscheiden, was als "gefährdend" und was als "strafbar" einzustufen ist.

"Gefährdungen" von Kindern und Jugendlichen durch Medien abzuwehren, ist nach dem Willen des Gesetzgebers im wesentlichen Aufgabe der nach dem GjS zuständigen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, deren Zuständigkeit durch das IuKDG nochmals ausgeweitet wurde. Als Schriften gelten nunmehr auch alle nichtverkörperten Darstellungen – ein Schritt, den ich für überaus fragwürdig erachte und bei dem sich schon wenige Monate nach Verabschiedung des Gesetzes zeigt, daß hier sehr viel Ideologie von Frau Nolte und wenig Sachverstand am Werke war.

Als Leitbild hinter dieser Form rechtlichen Kinder- und Jugendmedienschutzes – das hat sich auch anläßlich der Beratungen zum IuKDG wieder gezeigt - steht nämlich leider immer noch die Vorstellung eines passiven und labilen jugendlichen Rezipienten, der Medieninhalten völlig hilflos ausgeliefert ist, sich mit noch so absurden Gestalten identifiziert, seine Wertmaßstäbe und Lebenserfahrungen nicht im sozialen Handeln mit anderen gewinnt, sondern ausschließlich aus Medien bezieht. Angestrebt wird dagegen der geistig reife, moralisch gefestigte Jugendliche, der über ein kritisches Urteilsvermögen verfügt und damit gegen jede mediale "Gefahr" gewappnet ist.

Darin liegt der Grundwiderspruch: Wie soll sich solch eine Persönlichkeit ausbilden, wenn auf der anderen Seite ein labiler Jugendlicher angenommen wird, der vor solchen Gefahren zu schützen ist und daher auch nicht lernen kann und darf, mit diesen Gefahren umzugehen und sich mit ihnen kritisch auseinanderzusetzen? Mit Verboten und einer "Bewahr"pädagogik, die eine von Problemen, Konflikten, Straftaten und moralischen Verfehlungen freie Welt suggeriert, läßt sich dieses wichtige Ziel auf keinen Fall erreichen! Gerade im Zusammenhang mit der Debatte um "Pornographie im Internet" fällt auf, daß es, sobald es um Sexualität und harmlose erotische Darstellungen geht, sofort Begriffe wie Verbot und Gebot fallen. Hängt es eigentlich daran, wie es der Sexualwissenschaftler Kurt Starke formuliert, "daß Sexualität wohl immer noch als Sünde gilt"?

In anderen Bereichen ist der aktive Umgang mit Gefahren dagegen eine Selbstverständlichkeit: Kinder macht man auf die Gefahren des Straßenverkehrs aufmerksam, indem man sie an die Hand nimmt und ihnen die konkreten Bedrohungen vor Augen führt. Neben der Erklärung wichtiger Verkehrsregeln wird mit ihnen auf diese Weise nach und nach adäquates Verhalten im Straßenverkehr geübt. Nur im Hinblick auf Medienangebote, insbesondere pornographischer, gewalttätiger und / oder extremistischer politischer Art, scheint diese Erziehungsmethode auf breite Ablehnung zu stoßen: So wurde unlängst ein Gymnasiallehrer disziplinarisch dafür belangt, daß er einen indizierten Film zeigte und mit seinen Schülern kritisch besprach, weil sie ihn darum gebeten hatten. Die Schüler hatten den Film zuvor privat gesehen.

Hinter diesem rechtlichen Jugendmedienschutz steht letztlich ein normatives Konzept von "Sittlichkeit" und "Wohl", das als Resultat eines historisch geprägten, gesellschaftlichen Definitionsprozesses verstanden werden kann. Mit der Jugendgefährdung ist damit auch immer dieses normative Konzept gefährdet, ohne daß dies von diesen Jugendschützern so ausgesprochen würde. Soziologisch kann hier von dem Anspruch einer sozial-integrativen Funktion gesprochen werden. Indem er sich über alle anderen sozialen Belange stellt, entblößt sich so verstandener Jugendmedienschutz als Versuch, innerhalb einer differenzierten, pluralistischen Gesellschaft Einheitsvorstellungen von Gesellschaft zu reintegrieren. Nur so erklären sich auch Ihre Vorschläge, die mit dem Argument des Kinder- und Jugendschutzes den Zugang zum Internet auch für Erwachsene beschränken wollen. Für dieses Vorhaben, das in Ihrem Antrag wieder deutlich zum Ausdruck kommt, haben Sie noch nicht einmal die Koalitionsmehrheit in der Enquete- Kommission "Neue Medien" auf Ihrer Seite. Selbst unionsnahe Sachverständige haben Sie immer wieder auf die Verfassungsunverträglichkeit Ihres Tuns hinweisen müssen. Daß Sie in diesem Punkt in der Enquete keine Mehrheit haben, ist wohl neben der Wahlkampfinszenierung eigentlicher Grund für Ihren heute zu beratenden Antrag.
Um es ganz klar zu sagen: Ihre Vorschläge zu Entwicklung von Filtersystemen, die nicht auf die nutzerseitige Selektion begrenzt sind, haben letztlich ein Verbot offener Datennetze und freier Kommunikation, die Zensur und die totale Überwachung von Kommunikationsvorgängen zur Konsequenz, wollte man sie ernsthaft durchsetzen. Daß eine solche Forderung ausgerechnet und zum offensichtlichen Entsetzen der FDP – Medienexperten auch noch die Unterschrift von Frau Leutheusser – Schnarrenberger trägt, zeigt zusätzlich Ihre Konfusion in Sachen moderner Medienpolitik. Liebe Frau Leutheusser: Mit Ihren Filtersystemen, über das sich Diktatoren aller Länder freuen dürften, fordern Sie einen "Lauschangriff hoch drei", der alles in den Schatten stellt, was Sie bisher – zumindest für Ihre Person, die durchaus Respekt verdient - abgelehnt haben.

Wir begrüßen dagegen Ihre Forderung, die Bundesprüfstelle endlich vernünftig auszustatten. Doch warum haben sie das aber nicht längst getan? Wer hat Sie daran gehindert? Doch den "Gefährdungen" von Kindern und Jugendlichen in einer globalen Informationsgesellschaft mit Hilfe des traditionellen Instrumentariums der Indizierung und der Bundesprüfstelle beikommen zu wollen, wie es die Bundesregierung im IuKDG durchgesetzt hat, kann allenfalls als populistische Symbolik bezeichnet werden. Zwar hat sich das GjS in vielen Punkten bewährt. Allerdings läßt sich das Gesetz nicht einfach auf die neuen Herausforderungen "überstülpen". Das GjS ist weder in politischer, noch in praktischer Hinsicht das abschließend geeignete Instrument, um Kinder und Jugendliche von "Gefährdungen" durch Medien zu schützen. Hier helfen einzig und allein verantwortungsvolle erzieherische Maßnahmen und natürlich die Medienkompetenz von Elternhaus, Schule und Jugendarbeit. Um diese zu unterstützen, bedarf es keiner neuen gesetzlichen Ge- oder Verbotsnormen, sondern vielmehr einer gerechten und vorausschauenden Wirtschafts- und Sozialpolitik und der großzügigen Förderung praktischer Medien"erziehung" und Sozialarbeit. Alle Anträge der SPD – Bundestagsfraktion zum Thema Förderung der Medienkompetenz haben Sie jedoch in der vergangenen Periode abgelehnt- also auch hier reine Wahlkampfinszenierung.

Ich bin der festen Überzeugung, daß die erfolgreiche Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und neuer Armut, ein Ende der Umverteilungspolitik zu Lasten der sozial schwachen und der Abschied vom überzogenen Wirtschaftsliberalismus des letzten Jahrzehnts im Ergebnis wesentlich mehr gegen die Gewalt unter Jugendlichen und für das Gemeinwesen bewirken würde, als jeder noch so restriktive rechtliche Jugendmedienschutz!

Jugendschutz in einer demokratischen Gesellschaft muß im Gesamtzusammenhang gesehen werden. Er hat dabei keine direkten Erziehungsaufgaben zu erfüllen, sondern vielmehr Erziehung zu ermöglichen und Kompetenz für einen verantwortungsbewußten Umgang mit vertrauten und neuen Medien herausbilden zu helfen. Er hat darüber zu wachen, daß der Jugend die zu ihrer Entwicklung notwendigen Chancen nicht vorenthalten werden und daß die bereits bestehenden Chancen nicht eingeengt und gefährdet werden. Moderner Jugendschutz kann also nicht primär bewahrenden Charakter haben, sondern muß stets auch ein progressives Element beinhalten. Richtig verstanden darf das Jugendschutzbemühen alte Strukturen nicht einfach festschreiben und auch nicht stets starr an alle Normen der Gesellschaft angepaßt sein. Als "Anwälte der Jugend" sollten Kinder- und Jugendschützer vielmehr bestrebt sein, alle Erscheinungen unseres gesellschaftlichen Lebens daraufhin zu untersuchen, ob sie optimale Entwicklungschancen fördern oder gefährden. Unter Umständen muß er also gegen herrschende gesellschaftliche Auffassungen das Recht der Jugend auf optimale Entwicklungschancen vertreten. Das wäre moderner Jugendmedienschutz.

Eine soziale Nutzung, im Sinne einer "sinnvollen" und "gesellschaftsverträglichen" Verwendung der neuen Medien, kann weder durch privat betriebene, noch durch staatlich normierte Bewahrpädagogik erreicht werden. Der Gesetzgeber sollte solche Versuche künftig daher besser auch unterlassen.

Soweit zu den "Gefährdungen" von Kindern und Jugendlichen durch die neuen Medien. Etwas anderes, und davon zu trennen, sind staatliche Maßnahmen gegen Handlungen, die als "strafbar" im Sinne des StGB einzustufen sind. Hier stehen Erwachsene im Mittelpunkt der Normen und Sanktionen, denn sie sind es schließlich, die das Internet dazu benutzen, mit relativ geringem Risiko strafbare Handlungen wie die Verbreitung von Kinderpornographie, rechtsextremistischen Gedankengutes und gewaltverherrlichender Darstellungen zu begehen. Dabei ist die Kriminalität im Cyberspace sicher nicht größer als in der physikalischen Realität auch. Sie bedient sich nur gerne der für ihre Zwecke durchaus nützlichen besonderen Vorzüge dieses Mediums. Kinder und Jugendliche sich hier in aller Regel nur Opfer, nicht die Täter oder Konsumenten, so daß sich Kinder- und Jugendschutz in diesem Bereich in den regulären Kontext von Verbrechensbekämpfung und –prävention einordnet.

Verbrechen gegen Kinder berühren uns emotional weitaus stärker als gegen Erwachsene. Gerade der sexuelle Mißbrauch von Kindern zum Zwecke der Herstellung pornographischer Abbildungen stößt hier im Zusammenhang mit den neuen Medien auf Abscheu und berechtigtes Entsetzen. Aber: Entgegen einer aufgeregten Berichterstattung ist das Internet kein "rechtsfreier Raum", in dem Unrecht begangen werden könnte, ohne daß sich der Täter strafbar macht. Im Gegenteil: Das deutsche Strafrecht würde – bei wörtlicher Auslegung des §9 StGB – sogar so weit reichen, daß dadurch die Souveränität anderer Völker verletzt würde. Daher besteht in strafrechtlicher Hinsicht über die bereits getroffenen Maßnahmen hinaus kein besonderer legislativer Handlungsbedarf.

Problematisch ist weniger die normative Orientierung des Rechts, als seine Durchsetzbarkeit, da einem seiner Form nach global strukturiertem virtuellen Sozialraum keine dem entsprechenden supranationalen Strukturen gegenüberstehen. Solange die Werturteile, die Strafnormen zugrunde liegen, nicht von allen Völkern geteilt werden, wird es Straftätern im Prinzip immer möglich bleiben, sich in Gebiete zurückzuziehen, die für die deutschen Strafverfolgungsbehörden unzugänglich sind. Langfristig dürften Nationalstaaten daher nicht in der Lage sein, die globalen Herausforderung dieses Vollzugsdefizites zu bewältigen.
Ein Schwerpunkt staatlichen Handelns muß daher auf der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung liegen. Die Durchsetzbarkeit nationaler (straf-)rechtlicher Normen kann jedoch in einer globalen Informationsgesellschaft nicht im nationalen Alleingang erreicht werden. Sachgerechte nationale Lösungen können aber zukünftigen gemeinsamen Regelungen als Beispiel dienen. Ich vermag mich daher – gerade im Zusammenhang mit den neuen Medien – nur für solche Maßnahmen des Informationsstrafrechts, der Strafverfolgung und des Jugendschutzes aussprechen, die dem sozialdemokratischen Leitbild von einer offenen, sozialen und demokratischen Gesellschaft entsprechen.
Im Bereich der Bekämpfung von Straftaten sind dem Staat allerdings neue Grenzen gesetzt: Das Internet (damals noch ARPA-Net) wurde im Auftrag des US-amerikanischen Militärs geschaffen, um die Kommunikationsfähigkeit im Falle eines Krieges – auch bei Atomschlägen – offenzuhalten. Dies bestimmt auch heute noch die Struktur und Funktionsweise des Netzes. Der Ausfall einzelner Knotenrechner durch äußere Einwirkungen wird genauso wie Störungen ganzer Bereiche vom Rest des Netzes ohne weiteres verkraftet. Der Versuch, die Verbreitung strafrechtlich erheblicher Informationen zu verhindern, wird daher wie eine solche technische Störung behandelt und entweder automatisch unterdrückt oder umgangen.

Im Internet erweist sich die Unabhängigkeit der einzelnen Netzknoten, die Dezentralität und das Fehlen übergeordneter Instanzen für die Durchsetzung nationalen Rechts als problematisch. Da dies aber zugleich Gründe für die hohe Ausfallsicherheit und die Interoperabilität des Systems sind, wäre die Beseitigung dieser Funktionen praktisch identisch mit dem Verzicht auf eine Nutzung der Datenautobahn. Mit der "Struktur" , von manchen als "Anarchie" bezeichnet, des Internets entstehen aber nicht nur Lücken im Vollzug nationaler Normen, sondern zugleich auch jene Freiräume, in denen auch diejenigen eine Stimme bekommen, die bislang durch staatlichen Druck stumm gehalten wurden, ganz unabhängig davon, ob dieser Druck totalitärer Art oder demokratisch legitimiert ist.

Zudem bestünde, solange wenigstens eine Telekommunikationsverbindung ins Ausland offen bleibt, weiterhin die Möglichkeit, strafbare Inhalte in der Bundesrepublik zu empfangen und zu verbreiten. Dies könnte nur dann verhindert werden, wenn auf Selbstwählverbindungen ins Ausland und digitale Datenkommunikation – einschließlich Fax, ISDN und Mobiltelefon – vollständig verzichtet würde.

Zudem stehen alle Vorschläge einer vorbeugenden Verbrechensbekämpfung im Spannungsfeld zwischen dem Schutz der Privatsphäre und dem Interesse eines geordneten Zusammenlebens. Die Grenzen zwischen unerwünschter Zensur und notwendiger Prävention lassen sind daher nur durch eine besonnene und umfassende Abwägung aller Gesichtspunkte bestimmen. Dabei dürfen weder die Sehnsucht nach einfachen politischen Lösungen, noch eine gefährliche Kombination diffuser Fortschrittsangst mit technischem Unverständnis die Diskussion beherrschen. Verfassungswidrige oder sachlich ungeeignete "Lösungen" scheiden damit von vornherein aus.

Genauso wenig sachgerecht ist die Position derer, die Internet-Provider für strafbare Inhalte haftbar machen und nicht erkennen wollen, daß Zugangsvermittler und Inhalteanbieter nicht verwechselt werden dürfen. Anders als bei Mailboxen haben die Zugangsvermittler (Provider), Universitäten, Forschungseinrichtungen und sonstige Institutionen keinen Einfluß auf die im Internet verbreiteten Daten. Das Internet zeichnet sich ja gerade durch seine nichthierarchische Organisation aus; verantwortliche Betreiber fehlen daher oft.

Strafverfolgung ist zudem eine originäre Aufgabe des Staates, die Kommunikationsdienstleister würden bei Aufbürdung entsprechender Pflichten vor unlösbare Aufgaben gestellt. Es käme ja auch keiner auf die Idee, daß die Telekom für die Inhalte von Telefongesprächen oder Briefträger für eine Briefbombe verantwortlich wären.

In der Konsequenz bewirkt eine Kriminalisierung der Internet - Provider lediglich die Existenzvernichtung der kleinen und mittelständischen Unternehmen, da ihnen selbst eine stichprobenartige Kontrolle der vermittelten Inhalte wegen ihrer geringen Personalkapazität und des immensen Datenvolumens nicht möglich ist. Gleichzeitig stellt sich die grundsätzliche Frage, ob eine solche Total – Kontrolle gesellschaftlich erwünscht sein kann. Ich sage ein klares "Nein" dazu. Neben diese grundsätzlichen Bedenken treten auch ökonomische Aspekte: Da – auch nach Ansicht der Bundesregierung – vor allem kleine, innovative Unternehmen für die Dynamik des neuen Marktes verantwortlich sein sollen, wäre ein weiterer Verlust an Innovationsfähigkeit ohne korrespondierenden Nutzen die direkte Folge. Aus diesem Grund habe ich auch das Münchener Urteil gegen den früheren Compuserve- Geschäftsführer Somm als Katastrophe bezeichnet. Ich bleibe dabei: Das Urteil ist rechtlich und technisch nicht haltbar und nicht begründbar.

Anstatt für wirkungslose Maßnahmen und moderne Hexenverfolgung eines "sachkundigen" Amtsrichters , der offensichtlich auch den Rückhalt des jetzt von der CSU zurückgepfiffenen bayrischen Justizministers hatte, setzen wir uns daher mit Nachdruck für ein Bündel alternativer Vorschläge ein. Dazu gehören insbesondere:

  1. Mechanismen der Selbstregulation: Auch wenn ein Verzicht auf staatlichen Einfluß und gesellschaftliche Kontrolle nicht wünschenswert ist, können Mechanismen der Selbstregulation – wie auch in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft – positive Einflüsse auf die künftige Entwicklung haben. Deshalb sollte der Staat dort, wo sie wirksam sind – wie z.B. die im Internet gültige Netiquette – entsprechende Freiräume lassen.
  2. Freiwillige Selbstkontrolle: In der Bundesrepublik existieren erste Ansätze einer freiwilligen Selbstkontrolle der Internet Provider. Da es aber im Internet – im Unterschied zu den kommerziellen Online-Diensten – in der Regel an einem "Verleiher" bzw. "Herausgeber" fehlt, werden Bestrebungen, Verantwortlichkeitsregeln und Selbstkontrollmechanismen aus dem Bereich der Presse oder der Filmwirtschaft übertragen zu wollen, ohne Wirkung bleiben.
  3. Dennoch wird die gerade erfolgte Gründung einer freiwilligen Kontrollinstanz in vielfacher Hinsicht positiv wirken. Durch solche private Organisationen dürfen jedoch nicht, quasi "durch die Hintertür", die verfassungsmäßigen Freiheitsrechte ausgehöhlt und Bestimmungen des Datenschutz hintergangen werden. Zudem kann nur solchen Vorschlägen zugestimmt werden, die nicht zu einem wettbewerbsverzerrenden Ergebnis führen, indem es etwa zur Bildung kartellartiger Strukturen kommt.
  4. Pädagogische Mittel: Kinder- und Jugendschutz in erzieherischer Hinsicht ist am besten unmittelbar an oder vor dem Rechner zu realisieren, von dem aus der Minderjährige die Verbindung ins Netz herstellt, meist also in der elterlichen Wohnung. In letzter Zeit werden hierzu technische Lösungen angeboten, die den Zugriff auf problematische Inhalte verhindern sollen und damit den Eltern ein weiteres pädagogisches Mittel an die Hand geben. Inwieweit sie dies tatsächlich leisten können, läßt sich noch nicht abschließend beurteilen; die Verantwortung der Eltern bleibt aber auf jeden Fall von zentraler Bedeutung.
  5. Wir müssen uns also Gedanken um ein neues Konzept von "Kultureller Medienkompetenz" machen: Kulturelle Medienkompetenz heißt, daß Kinder und Erwachsene in die Lage versetzt werden, Medien in sinnvoller Weise in ihren Lebensalltag einordnen können, nicht nur in passiver Hinsicht, sonder auch aktiv als Teilnehmer und (Mit-) Gestalter des interaktiven Mediengeschehens. Der Zugang zu Informationen allein gewährleistet noch nicht die aktive Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger in der entstehenden Informationsgesellschaft, bildet aber die Grundbedingung für die Verhinderung einer Spaltung der Gesellschaft in Informationsarme und -reiche. Viel drängender noch als bisher stellt sich aber das Problem des kompetenten und verantwortungsvollen Umgangs mit diesen Informationen. Medienkompetenz wird die zentrale Schlüsselqualifikation der Informationsgesellschaft werden. Medienkompetenz muß erlernt werden. Die Schulen und Universitäten müssen die Menschen auf den Alltag in der Informationsgesellschaft vorbereiten. Schaut man sich heute in Schulen und Universitäten um, offenbart sich der dringend notwendige Handlungsbedarf. Notwendig ist es daher – und die SPD-Bundestagsfraktion forderte dies in ihrem Entschließungsantrag zur Gestaltung der Informationsgesellschaft - eine Bildungsoffensive zu starten, die den Schulen und Universitäten die Möglichkeit eröffnet, die Menschen auf die Anforderungen der Informationsgesellschaft vorzubereiten - für den alltäglichen Umgang mit Informationen ebenso wie für die neuen Arbeitsplätze. Als grundlegende Infrastrukturmaßnahme sind im Rahmen eines neu zu definierenden Universaldienstes Konzepte und Modelle zu formulieren, die Forschungseinrichtungen, Bibliotheken, Schulen und öffentlichen Einrichtungen den Zugang zu den Kommunikationsnetzen ermöglichen. Denkbar wäre auch, in Zusammenarbeit mit Medien-, Computer- und Softwareunternehmen ein Programm zu initiieren, das Schulen, Universitäten und Bibliotheken die technischen Voraussetzungen preiswert zur Verfügung stellt.
  6. Administrative Maßnahmen: Zur Bekämpfung von Straftaten fehlt es auf nationaler Ebene bisher an entsprechend ausgebildeten und ausgestatteten Referaten bei den Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden. Dort fehlt es im Moment noch häufig an angemessener technischer Ausstattung und oft an ausreichendem Einblick in die komplexen Zusammenhänge der neuen Informationstechnologie. In der juristischen Ausbildung sollten daher durch Länderinitiativen an den Universitäten Angebote zur Schulung im Multimediabereich eröffnet werden.
  7. Internationale Vereinbarungen: In dem Moment, da Medien fremde Rechtsordnungen tangieren, genügt der starre Blick auf die eigenen nationalen Regelungen nicht mehr. Mittelfristig sind handlungsfähige internationale Institutionen und Regelungen zu schaffen um der Globalisierung der Zusammenhänge schrittweise Rechnung zu tragen. Langfristig können nur supranationale Strukturen und weltweit gültige Normen die bedeutendsten Probleme des Gesetzesvollzugs beseitigen. Auch hier haben Sie in Ihrer Regierungszeit versagt. Antworten auf diese Fragen sind Sie bis heute schuldig geblieben, was Sie mit ihrem Show – Antrag auch nicht verbergen können.

Die großen Industrienationen befinden sich auf dem "Weg in die Informationsgesellschaft". Dies bedeutet konkret, daß auf der Basis vernetzter Informationstechnologie neben unserer materiellen Welt ein komplexer "virtueller" sozialer Raum mit einer eigenen, andersartigen Raum-Zeit-Struktur entsteht, dessen Ausgestaltung – nicht zuletzt wegen seiner zunehmenden ökonomischen Bedeutung – auch unsere "materielle" Welt stark beeinflussen wird. Da die Technik selbst gestaltungsoffen und wertneutral ist, liegt es nicht zuletzt an Maß und Art politischer Gestaltung, welche Impulse von diesem Sozialraum ausgehen werden: demokratische oder undemokratische, soziale oder unsoziale, freiheitliche oder autoritäre. Das Ziel der Schaffung einer offenen und demokratischen Informationsgesellschaft zu erreichen, müssen sich alle Beteiligten zur Aufgabe machen.

Ihrem Antrag können wir daher keine Zustimmung erteilen. Er wird trotz gewisser Übereinstimmung in einzelnen Punkten den Herausforderungen an einen modernen Jugendmedienschutz, wie hinreichend dargelegt, an wichtigen Punkten nicht einmal ansatzweise gerecht.


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