Angesichts der neuen Diskussionen über eine Erhöhung der Sicherheit in Deutschland vor dem Hintergrund der terroristischen Angriffe fordern der forschungspolitische Sprecher und Beauftragte für Neue Medien, Jörg Tauss, MdB und der Berichterstatter für Telekommunikation der SPD-Bundestagsfraktion im Unterausschuss "Post und Telekommunikation" des Deutschen Bundestages, Ulrich Kelber, MdB, ein Überdenken der staatlichen Pläne zu Überwachungsmaßnahmen im Internet:
Nur wenige Tage nach den schrecklichen Ereignissen in New York und Washington werden von allen Seiten massive Eingriffsbefugnisse für die Ermittlungsbehörden und weitere Einschränkungen der Freiheitsrechte gefordert. Natürlich ist es zwingend notwendig, zu überprüfen, ob es Hindernisse für eine effiziente Ermittlung und wirksame Verfolgung für die Ermittlungsbehörden gibt. Diese setzt aber eine sorgfältige Überprüfung und eine sorgsame Abwägung zwischen der Ausweitung von Eingriffsbefugnissen und der Wahrung von Freiheitsrechten voraus. Neben der Solidarität mit den USA und dem Zusammenrücken der Völkergemeinschaft gegen den internationalen Terrorismus müssen jetzt die neuen Bedrohungen von Infrastrukturen stärker in den Mittelpunkt der Betrachtungen rücken. Diese Aufmerksamkeit muss jetzt staatlicherseits aber verstärkt auch auf die Frage ausgerichtet werden, wo terroristische Aktionen in einer technisierten Gesellschaft ihre fürchterlichen Wirkungen entfalten können. Dies gilt vor allem für die Informations- und Kommunikationstechnik (IT), von der bei gezielt herbeigeführten Systemzusammenbrüchen katastrophale Folgen in allen gesellschaftlichen Bereichen ausgehen könnten. Sie steuern Flugzeuge und Kraftwerke, Gas- und Wasserversorgung, Telekommunikationssysteme, die Energie- und Finanzwirtschaft - und sie sind an vielen Stellen noch unsicher und die Sicherheitsstandards reichen bei weitem noch nicht aus.
Unter der Perspektive des Schutzes kritischer Infrastrukturen kann man auch erkennen, dass die seit Jahren diskutierten Pläne zur stärkeren Überwachung der Kommunikation im Internet die Sicherheit in Deutschland massiv gefährden können, statt sie zu erhöhen. Das Öffnen des Internets für staatliche Überwachung schafft Einfallstore für Cyberterroristen, die so die (kritischen) Infrastrukturen und die Wirtschaft in Deutschland attackieren könnten. Gleichzeitig können Kriminelle und Terroristen sich mit einfachsten Mitteln vor einer Enttarnung im Internet trotz staatlicher Überwachung schützen. Sichere Netze sind ein wirksamerer Schutz für Deutschland als das massenhafte Speichern von Daten der Internetkommunikation, die letztlich nur zu Datenmüll führen. Derartige Pläne gehen davon aus , Verbrechen dadurch verfolgen zu können, in dem sie einen riesigen Überwachungsapparat installieren und sogar bestimmte Verhaltensweisen kriminalisieren, die zum Teil dem System- und Selbstschutz dienen, wie z.B. die Überprüfung elektronischer Netze mit Hacker-Software. Dabei übersehen diese Vorhaben nicht nur, dass in den USA ähnliche Vorgehensweisen des Staates überhaupt keinen Erfolg hatten. Außerdem ignorieren sie die einfache Tatsache, dass schon ein mittelprächtig begabter Computerbenutzer sich mit Verschlüsselung und dem ‚Verstecken' von Nachrichten in Bildern oder Musik (Steganographie) leicht und vollständig vor staatlicher Überwachung im Internet schützen kann. Pläne, die zusätzliche Einfallstore in die elektronischen Netze schaffen, um als Staat z.B. eMails mitlesen zu können, erleichtern Cyberterroristen ihre Angriffe, ohne wesentliche Erfolge aufweisen zu werden. Das ist ein gefährlicher Irrweg.
Aus diesem Grund müssen die konkreten Überwachungsvorhaben, namentlich die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie erarbeitete Telekommunikationsüberwachungsverordnung und die in Federführung des Bundesministeriums der Justiz erarbeitete Cybercrime-Konvention des Europarates erneut auf den Prüfstand. Die Fragen des Datenschutzes und die Fragen der Datensicherheit müssen zusammengedacht werden. Nicht Pauschalverdächtigungen gegen den Datenschutz sind notwendig, denn nur ein wirksamer Datenschutz wird auch zu einer wirksamen Datensicherheit führen. Die rot-grüne Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben den Weg der umfassenden Modernisierung des Datenschutzrechtes, bei der Fragen der IT-Sicherheit ebenso thematisiert werden wie der Selbstschutz der Nutzer, auf den Weg gebracht. Aus diesem Grund muss ein Höchstmaß an Sicherheit in diesem Bereich auch ein Forschungsschwerpunkt werden. Hierzu gibt bereits der Haushalt 2002 Gelegenheit, wo der IT- und Softwarebereich und dessen Sicherheit ein wichtiger Schwerpunkt ist. Der Grundschutz solcher Systeme muss insgesamt verbessert werden. Der Schutz von (kritischen) Infrastrukturen darf daher nicht länger ein Nischenthema für wenige Experten bleiben, sondern muss endlich gesellschaftlich debattiert werden. Ziel der terroristischen Angriffe war eine offene und freiheitliche Gesellschaft. Wir sollten aufpassen, dass wir nicht übereilt diese Grundlagen einer freien und offenen Gesellschaft zugunsten einer vermeintlichen inneren und äußeren Sicherheit aufs Spiel setzen - die zudem nur eine trügerische Sicherheit wäre.