Jörg Tauss, MdB


2. Kongreß der Initiative Informationsgesellschaft Medien Demokratie am 12. und 13. Juni 1998 in Frankfurt/M. - Abstrakt zur Podiumsdiskussion Macht & Medien

Jörg Tauss, MdB

INTERNET & POLITIK: Neue alte Machtfragen in einer globalen Informationsgesellschaft

In den 30er Jahren beschrieb der Dichter Bertolt Brecht die Potentiale - vor allem aber die Begrenzungen - des heute schon als klassisch bezeichneten Rundfunk-Massenmediums: Der Rundfunk könne als denkbar "großartigster Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens" verstanden werden, wenn er es verstünde, "nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen". Mit dem Eintritt in die Informationsgesellschaft scheint nun dieser alter Menschheitstraum endlich in Erfüllung zu gehen: Die neuen Kommunikationstechnologien bieten zumindest potentiell die Möglichkeit, alle Gesellschaftsmitglieder in einem übergreifenden Kommunikationsnetz zu vereinigen. Im Unterschied zum "Distributionsapparat" Rundfunk kann nun jeder - als Sender und Empfänger - mit jedem über fast alles zu beinah jeder Zeit elektronisch kommunizieren, jeder kann Informationen anbieten, abfragen oder austauschen - eines allerdings vorausgesetzt: die Möglichkeit einer freien und selbstbestimmten Kommunikation.

Die politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen dieses gegenwärtig zu beobachtenden Gesellschaftswandels [1] werden sehr unterschiedlich eingeschätzt: Gelten die neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten für die einen als "technology of freedom" und stehen für eine "totale Demokratisierung" der Gesellschaft, den "informierten Bürger" und die direkte Kommunikation, beispielsweise zwischen Politik und Wahlvolk, sehen die anderen in ihnen eine Gefahr für die Freiheit des Menschen, einen entstehenden Überwachungsstaat und eine Bedrohung der parlamentarische Demokratie oder gar als den Anfang von ihrem Ende. [2]

Kennzeichen jeder technologischer Innovationen ist, mit anderen Worten, immer eine soziale Ambivalenz: Einerseits eröffnen sie Chancen, das Leben lebenswerter zu gestalten, andererseits aber bergen sie gleichzeitig auch Risiken in sich, welche Leben und Lebenswelt bedrohen. Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien können zur Entmündigung oder Kontrolle der Bürger eingesetzt werden oder zu einer weiteren Differenzierung und Segmentierung in neue "autistische" Teil-Öffentlichkeiten und Zersplitterung der Gesellschaft führen, ohne daß ein neues, die Gesellschaft zusammenhaltendes Band auch nur in Sicht ist. Diese Risiken gilt es zu erkennen und zu verhindern.

Erkannt und genutzt werden aber müssen die Chancen, die die neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten eröffnen. Diese dürfen jedoch nicht - wie dies in der derzeitigen Debatte noch immer passiert - auf ökonomische und technische Potentiale reduziert werden, und, wenn sie denn in der Politik debattiert werden, auf die Probleme der "Überwachungsmöglichkeiten" begrenzt werden. Vielmehr gilt es, die gesellschaftlich wünschenswerten Aspekte zu erkennen und zu formulieren. Vor dem Hintergrund demokratietheoretischer Überlegungen bedeutet das vor allem, die neuen Partizipationspotentiale, die diese Technologie ermöglicht, freizulegen und die Gefährdungspotentiale - die wir ja zum Teil erst neu schaffen - zu erkennen. Vor allem bieten die neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten die Möglichkeit, auf die Globalisierungsprozesse in Wirtschaft und Politik zu reagieren. Daher kann das die Gesellschaft umfassende Kommunikationsnetz zu Recht als eine Art "öffentlicher Marktplatz der Informations-(Welt-)Gesellschaft" bezeichnet werden - ein Marktplatz, auf dem nicht nur mit Waren gehandelt, sondern auf dem auch über Wissen und Werte, über Lebensentwürfe und um die Zukunft der Gesellschaft verhandelt wird. Aus der Perspektive einer "vernetzten" Politik in diesem weltumspannenden Kommunikationsnetz gilt es, sich dieser Herausforderung zu stellen und die neuen Aufgaben anzunehmen. Denn: Was wäre die Alternative? Versäumt die Politik diese Chance, werden die Gesellschaftsentwürfe ohne sie debattiert - und das wäre der wirkliche Abschied der Politik.

Wie wichtig die derzeitigen Weichenstellungen - auch durch die Politik - auf dem Weg in die Informationsgesellschaft sind, wird deutlich, wenn man sich die Bedeutung, die die - inzwischen schon als traditionell bezeichneten - Medien bereits haben. Medien und Kommunikation konstituieren erst die moderne Gesellschaft und die gesellschaftliche Kultur; in der modernen Gesellschaft sind sie unabdingbar in der Generierung von Wissen, Werten und Weltbildern. Den Medien kommt damit in der modernen Gesellschaft eine grundlegende Bedeutung zu: Sie bieten Orientierungswissen für alle Lebensbereiche an, sie begleiten Menschen in allen Tagessegmenten von der Berufsarbeit bis zur abendlichen Entspannung. Kommunikation und Medien prägen die individuelle Sozialisation und die kollektiven Wissens- und Wertbestände der modernen Gesellschaft. Medien stellen Zusammenhänge her, die durch die Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft verloren gegangen sind. Medien haben in der modernen Gesellschaft die Funktion, durch Bereitstellung von Informationsangeboten die Integration der Gesellschaft zu garantieren. Sie schaffen eine imaginäre Einheit einer in ihre Teilbereiche zersplitterten Gesellschaft und halten damit - etwas gewagt formuliert- die Gesellschaft aufrecht. Sie füllen Lücken, etwa solche, die durch fortschreitende Ablösung der Familie und anderer tradierter Sozialverbände, aber auch der Schule, als zentrale Sozialisationsinstanzen entstehen.

Will die moderne Gesellschaft an ihrem Ziel festhalten, eine möglichst breite Palette von Lebensentwürfen auf der Basis einer noch immer solidarischen Gesellschaft zuzulassen, die die Entfaltung aller erst ermöglicht, will sie die kommunikative Entfaltungsmöglichkeit aller zulassen, die in Zukunft die freie Entfaltung noch entscheidender bestimmt als heute, dann zählt zu den wichtigsten Aufgaben der Gegenwart, eine zukunftsfähige Kommunikationsordnung zu entwerfen, die diese reale Freiheit auch in der Informationsgesellschaft sichert. Es bedarf einer Struktur der Medien-, Wissens- und Informationsgesellschaft, die dies faktisch zuläßt. Dabei kommt - gerade bei der Betrachtung unter dem Stichwort MACHT - vor allem zwei Themenbereichen eine immense Bedeutung zu: Zuerst wäre die Frage des Zugangs zu Informationen zu nennen, als zweites die Frage des kompetenten und selbstbestimmten Umgangs mit Informationen.

Gegenwärtig läßt sich ein wachsender Konsens beobachten, daß Machtprobleme der Zukunft verstärkt als Zugangsprobleme zu Informationen analysiert und behandelt werden müssen. [3] Über Parteigrenzen hinweg dürfte Konsens darüber bestehen, daß gerade in einer Informationsgesellschaft der Zugang zu Informationen sichergestellt, daß eine andere als nutzerautonome Zugangsfilterung verhindert und daß der verantwortungsvolle Umgang mit Informationen ermöglicht werden müssen. Die Frage ist nur, wie kann man diesen Anspruch verwirklichen? Bisherige Regelungen im Medien- und Telekommunikationsbereich werden teilweise aufgrund der unbestritten notwendigen Liberalisierung, teilweise aufgrund technischer Entwicklungen - Stichworte sind Konvergenz, Digitalisierung und Datenkompression - oder aber aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen - Stichwort Globalisierung - obsolet. Neue Konzepte sind noch nicht in Sicht. Dennoch gilt es, die Zugangsprobleme ernst zu nehmen, handelt es sich doch hierbei um eine Infrastrukturaufgabe. Unterscheiden lassen sich drei Typen von Zugangsproblemen. Zum einen sind es Zugangsprobleme bei Übertragungswegen (I), Zugangsprobleme bei der Produktion von Kommunikationsinhalten (II) und schließlich Zugangsprobleme der Nutzer, der Rezipienten (III) und deren Kommunikationskompetenz, wozu auch der selbstbestimmte und verantwortungsbewußte Umgang mit Kommunikationsinhalten zu fassen ist.

Zu den Zugangsproblemen und den sich daraus ergebenden Folgeproblemen oder unmittelbaren in Zusammenhang stehenden weiteren Problemen gehören insbesondere:

I. Zugangsprobleme bei Übertragunsgwegen:

II. Zugangsprobleme bei der Produktion von Kommunikationsinhalten:

III. Zugangsprobleme für den Nutzer/Rezipienten und Probleme beim Umgang:


[1] Vgl. dazu ausführlich die Beiträge in Tauss, Jörg/Kollbeck, Johannes/Mönikes, Jan (Hrsg.) (1996): Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft. Herausforderungen und Perspektiven für Wirtschaft, Wissenschaft, Recht und Politik. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.

[2] Vgl. hierzu ausführlich die Beiträge in Leggewie, Claus/Maar, Christa (Hrsg.) (1998): Internet & Politik. Von der Zuschauer- zur Beteiligungsdemokratie. Köln: Bollmann Verlag.

[3] Beleg dafür kann sein, daß die hier gemachten Formulierungen auch Eingang in den Schlußbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" gefunden haben, der sich derzeit in der Schlußberatung befindet.

[4] Vgl. hierzu den Bericht der Bundesregierung über die Lage der Medien in der Bundesrepublik Deutschland 1998. - Medienbericht 1998 -. BT-Drs. 13/10650.

[5] Vgl. zur Position der SPD-Bundestagsfraktion den Antrag von Jörg Tauss, Edelgard Bulmahn, Doris Odendahl, ... und der Fraktion der SPD: Förderung von Forschung und Entwicklung für Innovationen und zukunftsfähige Arbeitsplätze im Informationszeitalter. BT-Drs. 13/10563.

[6] Vgl. zu möglichen ersten Lösungsansätzen die Berichtsteile "Datenschutz" und "Datensicherheit" des Zwischenberichtes "Sicherheit und Schutz im Netz" und den Abschlußbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" (z.Z. noch ohne Drucksachennummer, da noch nicht abschließend beraten).


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