Jörg Tauss, MdB


Beitrag in der Frankfurter Rundschau vom 6. März 1997, Internet und Gesetz, Jörg Tauss, Gastbeitrag

Die Notwendigkeit, tradierte Medienkonzepte über Bord zu werfen

Das Internet kann nicht nach der überkommenen Bund-Länder-Trennung reguliert werden


Weltweit wird diskutiert, ob und wie das globale Medium Internet reguliert werden kann. Auch in Deutschland wurden zwei Gesetze auf den Weg gebracht, die einen legislativen Rahmen schaffen sollen (siehe FR vom 1. März, Seite 3). Über Sinn und Unsinn einer staatlichen Kontrolle startet die FR heute die fünfteilige Reihe "Internet und Gesetz". In loser Abfolge werden hier weitere Gastbeiträge mit folgenden Schwerpunkten zu lesen sein: "Grenzenlose Meinungsfreiheit?" von Ingo Ruhmann (InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung); "Sicherheit im Internet" von Heike von Benda (Mitglied der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages); "Datenschutz und Regulierung" von Spiros Simitis (Forschungsstelle für Datenschutz, Universität Frankfurt); "Über die Notwendigkeit einer globalen Ordnung" von David Post (Georgetown University, Washington DC).

"Wir machen Multimedia möglich" -- mit diesen Worten lobt sich der Zukunftsminister Dr. Jürgen Rüttgers allerorten. Die Begründung liefert er gleich mit: Sein Gesetzentwurf für ein Informations- und Kommunikationsdienste- Gesetz (IuKDG), ursprünglich als "Multimedia-Gesetz" angekündigt, schlage eine "Schneise für Multimedia" und lasse Deutschland zum "Schrittmacher in der Zukunftswerkstatt" aufsteigen. Zweifel sind jedoch angebracht: Die bahnbrechende "Schneise" entpuppt sich bei näherer Betrachtung schnell als wenig innovativer Versuch, tradierte Medienordnungskonzepte fortzuschreiben und diese -- ungeachtet der gravierenden Veränderungen -- den neuen Medien einfach überzustülpen. Vorhersehbare Folge: Rechtsunsicherheit wird nicht abgebaut, sondern erst erzeugt.

Fast schien es so, als ob mit dem Entwurf für ein Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz das monatelange Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern ein Ende hätte. In einem Kompromiß hatte man sich auf eine "machtpolitische Doppelwhopper-Lösung" (Spiegel) verständigt und damit, zumindest kurzfristig, alle Medienreferenten befriedet. Weil man den neuen Medien, jeweils gestützt auf ein entsprechendes Rechtsgutachten, sowohl massen- als auch individualkommunikative Eigenschaften zuschrieb, sollten die Zuständigkeiten neu verteilt werden: Die Länder bekommen ihren Mediendienste-Staatsvertrag und behalten ihre Rundfunkhoheit; der Bund darf im Gegenzug sein Multimedia-Gesetz entwerfen und der um Erfolge verlegene Minister Rüttgers darf für kurze Zeit glauben, die Internethoheit gewonnen zu haben. Die Welt verändert sich, und doch bleibt alles irgendwie beim alten -- vorerst zumindest.

Zur eindeutigen Abgrenzung der Zuständigkeiten soll der Begriff der "Allgemeinheit" dienen. Demnach sind Informations- und Kommunikationsdienste, die "an die Allgemeinheit gerichtet sind", Mediendienste und unterliegen dem Mediendienste-Staatsvertrag. Im Unterschied dazu sollen alle Angebote, die sich individuell an den Einzelnen richten, nicht einer beliebigen Öffentlichkeit zugänglich sind oder zumindest keinen publizistischen Charakter haben, Teledienste sein.

Obwohl sich inzwischen herumgesprochen haben sollte, daß Telekommunikation, Medien und Computertechnik zusammenwachsen, halten beide Gesetzeswerke damit am tradierten Dualismus Individual- versus Massenkommunikation fest. Die Folgen sind unlösbare Abgrenzungsprobleme: Schon heute überschreiten die neuen Dienste die per Gesetz festgelegten Grenzen und unterliegen so mal dem Mediendienste-Staatsvertrag, mal dem Multimedia-Gesetz. Die 'eindeutige' Antwort des Forschungsministers, welches Regelungswerk denn wann für welchen Dienst gelte: "Je nachdem." Immerhin scheint er inzwischen die Abgrenzungsproblematik zu erkennen: "Grauzonen zu den Mediendiensten lassen sich nicht ausschließen. Um diese Grauzonen zu minimieren, werden wir mit den Ländern im Gespräch bleiben."

Diese Gespräche werden die Gerichte jedoch wohl kaum interessieren: Die fragwürdigen Begriffsabgrenzungen (und das Wissen darum) lassen die Regularien zu Garanten künftiger Rechtsunsicherheit werden; die Politik überläßt den Gerichten die Klärung der Probleme. Das jedoch wird die junge Multimedia-Industrie teuer zu stehen kommen. Verwaltungsgerichtsverfahren können sich zudem über Jahre hinziehen und selbst wenn irgendwann Urteile vorliegen, wird die technische Entwicklung inzwischen nicht stehenbleiben. Für kleine und mittelständische Unternehmen ein sicherer Weg in den Ruin. Die Wachstumsbranche der Zukunft, die ja bekanntlich Millionen neuer Arbeitsplätze schaffen soll, hoffte vergeblich auf verläßliche gesetzliche Rahmenbedingungen. Statt dessen sieht sich nun konfrontiert mit einem undurchsichtigen Kompetenzwirrwarr zwischen Bundes- und Länderbehörden. Fast einhellig beurteilen Vertreter der Wirtschaft und der Gewerkschaften den vorliegenden Kompromiß als innovationsfeindlich.

Die Frage, ob ein Diensteanbieter den Regelungen des einen oder des anderen Gesetzes unterliegt, macht für die jungen Multimedia-Unternehmen wegen des damit verbundenen finanziellen, technischen und personellen Aufwandes einen erheblichen Unterschied. Denn das, was sich zunächst nach formaljuristischen Definitionsproblemen anhört, sind Unterscheidungen, die eigentlich keine sind, die aber gravierende Unterschiede machen -- nämlich hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen. Vor allem mit Blick auf die Verantwortlichkeit für Inhalte ist die Zuordnung folgenreich. Geht es nach den Vorstellungen der Länder sollen die Anbieter für Inhalte auch dann verantwortlich sein, wenn sie lediglich den Zugang zu Informationen im Ausland ermöglichen. Wegen der strafrechtlichen Komponente gewinnt diese Frage eine existentielle Bedeutung für das Unternehmen und den Unternehmer. Dies könnte zur Grundentscheidung für eine ganzen Branche werden. Viele Multimedia-Unternehmen erwägen ernsthaft die Verlagerung ihrer Neuinvestitionen ins Ausland.

Das Ziel beider Gesetzentwürfe, einheitliche Rahmenbedingungen für die neuen Informations- und Kommunikationsdienste zu schaffen, wurde verfehlt. Aber, noch ist vielleicht nicht zu spät: Der Mediendienste-Staatsvertrag wurde zwar, von der Öffentlichkeit und auch von den Medien nahezu unbemerkt, bereits von den Ministerpräsidenten der Länder verabschiedet. Die parlamentarische Debatte um das bundesrechtliche Gegenstück, das Multimedia-Gesetz, steht jedoch erst an ihrem Anfang. Hinter den Kulissen wird bereits von Novellierung gesprochen, besser wäre jedoch eine grundlegende Neuregelung. Einen möglichen Ausweg böte ein von Bund und Ländern gemeinsam getragenes Regulierungsorgan, beispielsweise in Form einer Bund-Länder-Agentur. So könnten angemessene Rahmenbedingungen entstehen, die nicht bereits vor ihrer Verabschiedung den technischen Entwicklungen hinterherhinken.

Für ein solches Zunkunftsprojekt fehlt jedoch noch immer eine kritische Öffentlichkeit, eine politisch erfahrene Lobby der Multimedia-Industrie und eine Interessenvertretung der Anwender -- und damit vor allem eine gesellschaftliche Diskussion. Hält man aber an diesem Kompromiß fest, droht aus der "Schneise für Multimedia" angesichts dieser Regulierungswut ein Kahlschlag für den Medien- und Wirtschaftsstandort Deutschland zu werden.


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