Jörg Tauss, MdB


Deutscher Bundestag Drucksache 13/...13. Wahlperiode

Stand 21. 04.1998

Antrag

der Abgeordneten Jörg Tauss, Edelgard Bulmahn, Doris Odendahl, Doris Barnett, Hermann Bachmaier, Klaus Barthel, Hans Berger, Hans-Werner Bertl, Lilo Blunck, Tilo Braune, Ulla Burchardt, Hans Martin Bury, Wolf-Michael Catenhusen, Peter Enders, Norbert Formanski, Lothar Fischer (Homburg), Anke Fuchs (Köln), Angelika Graf (Rosenheim), Dieter Grasedieck, Manfred Hampel, Rolf Hempelmann, Uwe Hiksch, Stephan Hilsberg, Jelena Hoffmann (Chemnitz), Eike Hovermann, Renate Jäger, Prof. Dr. Uwe Jens, Volker Jung (Düsseldorf), Sabine Kaspereit, Werner Labsch, Dr. Elke Leonhard, Thomas Krüger, Horst Kubatschka, Herbert Meißner, Siegmar Mosdorf, Christian Müller (Zittau), Jutta Müller (Völklingen), Manfred Opel, Hermann Rappe, Dr. Edelbert Richter, Günter Rixe, Gudrun Schaich-Walch, Dieter Schanz, Dr. Hermann Scheer, Horst Schmidbauer (Nürnberg), Heinz Schmitt, Rolf Schwanitz, Ernst Schwanhold, Bodo Seidenthal, Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Dr. Dietrich Sperling, Wolfgang Thierse, Franz Thönnes, Adelheid Tröscher, Ute Vogt (Pforzheim), Josef Vosen, Wolfgang Weiermann, Reinhard Weis (Stendal), Berthold Wittich, Rudolf Scharping und der Fraktion der SPD

Förderung von Forschung und Entwicklung für Innovationen und zukunftsfähige Arbeitsplätze im Informationszeitalter

Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:

I. Der Bundestag stellt fest:

Mit dem vom Bundesminister für Bildung und Forschung vorgelegten Rahmenkonzept "Innovationen für die Wissensgesellschaft" geht die Bundesregierung erneut an den Erfordernissen einer zukunftsfähigen Entwicklung der Informationstechnik vorbei. Wirklich innovative Neuentwicklungen im Hinblick auf die Basisanforderungen der entstehenden Wissens- und Informationsgesellschaft – die Verfügbarkeit von und der Umgang mit Informationen – lassen sich nicht oder nur bedingt erkennen.

In ihrem Bericht "Info 2000 – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" kündigte die Bundesregierung bereits für 1996 ein Rahmenkonzept "Innovationen für das Informationszeitalter 1997-2001" für den Bereich Förderung von Forschung und Entwicklung an. Erst kurz vor der Jahreswende 1997/98 – also mehr als eineinhalb Jahre nach dieser Terminsetzung – legte das BMBF nunmehr unter dem Titel "Innovationen für die Wissensgesellschaft 1997-2001" ein solches Förderkonzept vor.

Der Begriff "Informationstechnik" taucht in dem nun vorgelegten Programm nur noch im Untertitel auf. Statt dessen wird unter dem Titel "Innovationen für die Wissensgesellschaft" versucht, die unterschiedlichen Kompetenzbereiche des BMBF auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnik – von der Förderung anwendungsspezifischer Schaltkreise bis hin zum "Lebenslangen Lernen" – zusammen zu denken. In den konkreten Projekten findet sich dann jedoch ausschließlich "klassische" IuK-Förderpolitik, die vorangestellten gesellschaftstheoretischen Überlegungen bleiben ohne Konsequenz.

Auch mit dem Rahmenkonzept "Innovationen für die Wissensgesellschaft" gelingt es der Bundesregierung nicht, selbst gesteckte Ziele zu erreichen und angemessene Lösungen für die anstehenden Probleme zu formulieren. Nicht die Offenheit für Neues zeichnet ihr neues Förderprogramm aus, sondern vielmehr das Festhalten an alten Strukturen und Projekten.

Diese Beispiele machen deutlich, daß die Bundesregierung mit ihrer Förder- und Forschungspolitik die wesentlichen Herausforderungen und Erfordernissen einer Informationsgesellschaft nicht erkennt. Diese erfordert auch in der Forschungs- und Förderpolitik neue Wege und Ansätze. Außer werbewirksameren Bezeichnungen hat die Bundesregierung ihre Förderpolitik in den vergangenen Jahren jedoch kaum merklich geändert. Notwendig sind, um einige Beispiele zu benennen, neue Förderkonzepte; flexible und unbürokratische Verfahren; Netzwerke zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik; der leichtere Zugang zu Informationen und Infrastrukturen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:
  1. Die Forschungsförderung dieses für die Zukunft der modernen Gesellschaft wichtigen Bereiches ist umgehend seiner Bedeutung entsprechend auszubauen und zu intensivieren. Diese Erhöhung der Fördermittel in diesem Bereich ist um so notwendiger, wenn man die vielen positiven Erwartungen (Bsp. Arbeitsmarkt, Wettbewerbsfähigkeit) bedenkt, die mit den neuen Möglichkeiten der Informationstechnologie verbunden werden.
  2. Die Förderung ist vor allem stärker an den Bedürfnissen der kleinen und mittleren Unternehmen auszurichten, gehen doch gerade von ihnen oft wichtige innovative Impulse aus. Der Schwerpunkt der Förderpolitik muß umgehend wieder auf den vorwettbewerblichen Bereich verlagert werden.
  3. Die im Vergleich zu anderen Förderprojekten viel zu geringe Förderung von Softwaretechnologie ist deutlich zu intensivieren, handelt es sich doch hierbei um eine der wichtigsten Zukunftstechnologien in der Bundesrepublik Deutschland. Viele der in dem Rahmenkonzept formulierten Ziele lassen sich zudem nur mittels Softwaretechnologie verwirklichen.
  4. Bei der Förderung im Bereich Multimedia kommt der Ermöglichung einer selbstbestimmten, sicheren und zuverlässigen Nutzung von Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten grundlegende Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang sind vor allem Fördermaßnahmen in den Bereichen Kryptographie, Datenschutz und IT-Sicherheit deutlich auszubauen. Auch der mit Blick auf das verabschiedete Informations- und Kommunikationsdienstegesetz (IuKDG), besonders in bezug auf das Signaturgesetz, festgestellte Forschungsbedarf ist umzusetzen.
  5. Die Feststellung der Bundesregierung, daß die "Qualität der Wissensgesellschaft durch Inhalte entschieden" wird, muß endlich Eingang in die Bildungs- und Forschungspolitik finden. Gerade im Hinblick auf die möglichen Folgen des gesellschaftlichen Wandels für Politik und Demokratie ist es eine vordringliche staatliche Aufgabe, relevante Inhalte auch in elektronischer Form zur Verfügung zu stellen und die neuen (interaktiven) Möglichkeiten zu nutzen.
  6. Instrumenten und Strukturen, mit denen die Informationsfülle organisiert, geordnet und für den systematischen Zugang aufbereitet werden können, kommt im Hinblick auf die sich entfaltende Wissens- und Informationsgesellschaft eine grundlegende Bedeutung zu und sind vorrangig zu fördern. Hierzu gehören beispielsweise der Zugang in Bibliotheken zu Informationen in weltweiten Datennetzen, der Zugang zu Datenbanken und zu Literaturverzeichnissen sowie der Aufbau von "Informationsplänen". Diese Einschätzung, die die Bundesregierung ja offensichtlich teilt, muß endlich auch Eingang in die Bildungs- und Forschungspolitik finden.
  7. Die Fachinformationszentren als Zugangsanbieter zu geordneten Informationen sind weiter zu fördern und auszubauen. Ihnen kommt als "Erbringer von Fachinformationen als öffentliche Aufgabe" eine herausragende Bedeutung zu. Die hier von der Bundesregierung angestrebte Privatisierung ist nicht zu verantworten: Sie ist ökonomisch kurzsichtig und innovations- und informationspolitisch falsch. Sie steht nicht nur im Widerspruch zu den in diesem Förderkonzept formulierten Leitideen, sondern auch im Widerspruch zu den Empfehlungen des Wissenschaftsrates, der im Zusammenhang mit der Evaluierung der Blauen-Liste-Einrichtungen die weitere Förderung der Fachinformationszentren in der Blauen Liste gefordert hat.
  8. Die möglichen Privatisierungen der Fachinformationszentren (Berlin und Karlsruhe) sind nur ein Beispiel der weitreichenden Privatisierungsbestrebungen der Bundesregierung. Diese müssen transparent gemacht und Gegenstand eines gesellschaftlichen Diskurses über Mittel, Ziele und Grenzen der Forschungspolitik werden. Die Privatisierungskonzepte sind vor allem dahingehend zu überdenken, inwiefern der Staat hier vorschnell gerade die Strukturen und Instrumente aus der Hand gibt, die er benötigt, um die Entwicklung von Wissenschaft und Forschung im gesamtgesellschaftlichen Interesse – gerade in einer Wissens- und Informationsgesellschaft – beeinflussen zu können. Berechtigterweise sehen daher vor allem die Hochschulen die Bestrebungen der Bundesregierung mit großer Sorge.
  9. Wenn Informationen und Wissen zunehmend und oft ausschließlich in elektronischer Form vorliegen, muß neben der Frage des Zugangs zu Informationen und Wissen endlich auch das Problem der langfristigen Speicher- und Archivierbarkeit erforscht und in Angriff genommen werden, um auch in der Informations- und Wissensgesellschaft das kulturelle Gedächtnis der Gesellschaft und Kontinuität des Wissens zu gewährleisten. Die Problematik der Archivierbarkeit digitaler Informationen ist im Förderprogramm der Bundesregierung noch nicht einmal ansatzweise erkannt. Für den wissenschaftlichen Bereich bestehen zur Pflege und Archivierung digitaler Informationen erste institutionelle Absicherungen – beispielsweise die bereits erwähnten Fachinformationszentren –, die jedoch erheblich ausgebaut werden und neben den naturwissenschaftlichen Disziplinen auch die sozial-, gesellschafts- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen einbeziehen müssen. Anders sieht es jedoch in den meisten anderen gesellschaftlichen Bereichen aus: Seien es – um nur einige wenige zu nennen – politische, kulturelle, künstlerische oder literarische Informationsangebote oder Informationen zum aktuellen Zeitgeschehen und zur Geschichte – hier fehlen derartige Konzepte und Institutionalisierungen. Hierbei kommen vor allem für die Bibliotheken erhebliche neue Herausforderungen und Aufgaben zu. Bewährte Verfahren, wie beispielsweise die Abgabe von Pflichtexemplaren an die Bibliotheken beim Medium Buch, müssen für die Archivierung von digitalen Informations- und Wissensbeständen erst entwickelt werden. Denkbar wäre zum Beispiel, daß die Deutsche Bibliothek in Frankfurt – in Zusammenarbeit bzw. arbeitsteilig mit den Landesbibliotheken der jeweiligen Bundesländer – wichtige und bewahrenswerte deutschsprachige Informationsangebote katalogisiert, aktualisiert und archiviert. Notwendig werden darüber hinaus – um dieser Aufgabe gerecht zu werden – neue Formen der Zusammenarbeit von Bibliotheken, Universitäten und Hochschulen.
  10. Die Formulierung von forschungspolitischen Zielvorgaben, forschungspolitischen Konzepten und Modellen, die Vergabe von Forschungsaufträgen und Fördermitteln und die Effizienz der Förderpolitik muß einem intensiven Evaluierungsprozeß unterliegen. Im Hinblick auf die Evaluation von Forschungs- und Technologiepolitik herrscht noch immer ein immenser Bedarf. Notwendig sind interdisziplinäre Konzepte, die die Erfahrungen der Wissenschafts- und Innovationsforschung, der Technikbeurteilung und Technikfolgenabschätzung, der Ökonomie, der Politikwissenschaft und der jeweiligen Fachdisziplinen bündeln – um nur einige zu nennen. Besondere Bedeutung kommt bei der Informations- und Kommunikationstechnik der Informatik zu, deren Förderung zu einer derartigen interdisziplinären Ausrichtung zu intensivieren ist.
  11. Die Förderung von Innovationen für die Wissensgesellschaft muß auch die Förderung von Technikfolgenabschätzung beinhalten. Sie widmet sich der wissenschaftlichen Untersuchung und Beurteilung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen für das individuelle und soziale Leben des Menschen und seiner natürlichen Umwelt. Ziel der Arbeit ist es, zu einem rationalen Umgang der Gesellschaft mit den Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen beizutragen. Diese Aufgabenstellung beinhaltet die Entwicklung von Empfehlungen für technische Optionen unter dem Gesichtspunkt ihrer langfristigen gesellschaftlichen Akzeptanz. Damit ist Technikfolgenabschätzung eine wichtige staatliche Aufgabe und ein zentraler Bestandteil einer verantwortungsvollen und zukunftsgerichteten Forschungspolitik.
  12. Eine der zentralen Herausforderungen der Informationsgesellschaft ist die Sicherung und Schaffung zukunftsfähiger Arbeitsplätze. Um die vielfältigen direkten und indirekten Auswirkungen der Informationsgesellschaft auf den Arbeitsmarkt verläßlich abschätzen zu können, sind gründliche Untersuchungen erforderlich, wie es auch im Ifo-Gutachten im Auftrag der Bundesregierung festgestellt wurde. Neben den gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungseffekten müssen auch die Auswirkungen der neuen IuK-Technologien auf die Beschäftigungsformen und die Organisation der Arbeitswelt untersucht werden. Die Grenzen zwischen selbständigen und versicherungspflichtigen Arbeitsformen werden fließend, bisher versicherungspflichtige Verhältnisse werden durch versicherungsfreie Arbeitsformen ersetzt. Damit das Risiko für die Betroffenen begrenzt wird, sind die sozialen Sicherungssysteme den neuen Strukturen anzupassen. Auch die Entwicklung neuer Arbeitsformen im Zusammenhang mit dem Einsatz der IuK-Technologien, wie etwa der Telearbeit, bedürfen eingehender Analysen ebenso wie die Veränderung des Verhältnisses von Erwerbs- und Nichterwerbsarbeit sowie der Wandel von Abhängigkeit und Autonomie in Arbeit und Freizeit. Auch zur Beurteilung der umweltentlastenden Effekte der neuen Informationstechnologien sind weitergehende Untersuchungen notwendig. Für die in der Informationsgesellschaft mögliche Entkoppelung von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum ist die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen notwendig. Die zentrale politische Aufgabe im Hinblick auf die Informationsgesellschaft ist es, zu positiven Beschäftigungsbilanzen und zu einer Verbesserung der Lebensqualität zu kommen.
  13. Im Zusammenhang mit der Schaffung einer nachhaltig zukunftsverträglichen Informationsgesellschaft besteht besonderer Forschungsbedarf im Hinblick auf die umweltverträgliche Produktgestaltung sowie im Hinblick auf die Kreislaufführung von Materialien. Ziel der Forschung muß es sein, sinnvolle Verknüpfungen zwischen neuen Technologien, Umwelt und Arbeit aufzudecken, damit die Synergieeffekte von Umwelt-, Wirtschafts- und Sozialpolitik langfristig genutzt werden können.

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